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Tough Buff

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Notizen, Zitate, Fragmente, Erinnerungen
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Deutschland ist ein schönes Land – mit Dörfern wie Juwelen und zerbombten Stadtruinen –, und wird von Schizophrenen bewohnt. Es gibt blühende Landschaften und schöne Aussichten; auf jedem Hügel thront ein Schloss. Die Weinberge an der Mosel und die frisch gepflügten Felder sind fruchtbar. Makellose Birken und zarte Weiden säumen die Flüsse, und die winzigen Städte bestehen ganz aus pastellfarbenem Putz, so als wären sie ein modernes Aquarell mit Anspielungen auf das Mittelalter. Kleine Mädchen spazieren nach ihrer Erstkommunion in weißen Kleidern und Blumenkränzchen in der Hand herum. Die Kinder haben Stelzen, Murmeln, Kreisel und Reifen und spielen mit Puppen. Mütter nähen, putzen und backen, Bauern pflügen und eggen; alles ist wie bei richtigen Menschen. Aber das sind sie nicht. Sie sind der Feind. Dies ist Deutschland, und es ist Frühling.

Lee Miller, Deutschland. Der Krieg ist gewonnen, in: Dies., Krieg. Mit den Alliierten in Europa 1944-1945, Reportagen und Fotos, Herausgegeben von Antony Penrose, Berlin: Edition Tiamat 2013. [Erstveröffentlichung im Modemagazin Vogue im Juni 1945]

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Misfits, Survivors & Zombis

1978 erinnerte Elie Wiesel mit seinem Plädoyer für die Überlebenden an den prekären Status von Holocaust-Überlebenden in der Nachkriegszeit: „They were disturbing misfits who deserved charity, but nothing else.“ Die Opfer der Lager, deren Image insbesondere durch die zahlreichen amerikanischen Pressebilder von Leichenhaufen und lebenden Toten aus den befreiten KZs geprägt war, galten bis in die 1970er Jahre als störende Außenseiter. Ihre reine Existenz löste in der Mehrheitsgesellschaft Scham, Abscheu und Unbehagen aus. Wiesel, der Auschwitz und Buchenwald überlebt hatte und in den USA zum preisgekrönten Schriftsteller avancierte, versuchte diese öffentliche Wahrnehmung der NS-Opfer zu verbessern. Unter dem anerkennenden Begriff Holocaust survivor gelang dies auch in den folgenden Jahrzehnten - mit weitreichenden Folgen bis heute.

Der Zusammenhang zwischen den Opfern der NS-Verbrechen als unheimliche Außenseiter lässt sich auch gut an Entwicklungen innerhalb der amerikanischen Popkultur nachvollziehen. Ein Jahr bevor Wiesel sein Plädoyer publizierte, gründete Glenn Danzig im März 1977 in New Jersey die Punk-Band Misfits, die den Grundstein für das Genre Horrorpunk legte. Der selbstgewählte Status als Außenseiter ging einher mit dem Kokettieren mit Todesästhetik (der Crimson Ghost als Band-Logo erinnert zwangsläufig an den SS-Totenkopf), -erotisierung (Doyle Wolfgang von Frankenstein als durchtrainierter tough guy Zombi) sowie einer postapokalyptischen Attitüde: Schimmert in der 1979 erschienenen EP Night of the Living Dead auch eine Verbindung von Zombis mit den lebenden Toten aus den KZs durch? Der Gruselfaktor der amerikanischen Horrorfilme und -bands korrelierte mit den Schrecken des realen Horrors der Lager und der Bedrohung einer atomaren Zerstörung der Erde im Kalten Krieg. Und nicht nur die KZ-Opfer, auch die Nazis suchen uns immer wieder als Zombis heim. Doch die NS-Opfer wurden in den Folgejahren von misfits zu gesellschaftlich anerkannten Heldenfiguren und die Außenseiter-Punker wurden zu gefeierten Stars, zumindest innerhalb der Szene. Die No Future Pose der 1980er hat sich zum Verkaufsschlager entwickelt.

Die Kategorie des Überlebens kann als Schlüsselbegriff des Katastrophen geplagten 20. Jahrhunderts verstanden werden. Das Leben wird entweder nur noch als ein Weiterleben oder gar als grandiose Leistung und Identität definiert.

Die einst gruseligen lebenden Toten sind indes längst zum Witz degradiert worden: “The Dead Don’t Die” ist der meta-ironische Abgesang auf den Zombikult - ohne Sinn, ohne Botschaft, ohne irgendeinen Schluss - irgendwie sind wir jetzt alle Zombis, gefühlte Opfer und Überlebende zugleich.

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Ich sitze am Mittagstisch mit einigen Göttinger Doktoranden und Habilitanden. Einer berichtet, er habe in Jerusalem einen alten Ungarn kennengelernt, der sei in Auschwitz gefangen gewesen, und trotzdem, »im selben Atem« hätte der auf die Araber geschimpft, die seien alle schlechte Menschen. Wie kann einer, der in Auschwitz war, so reden? fragte der Deutsche. Ich hake ein, bemerke, vielleicht härter als nötig, was erwarte man denn, Auschwitz sei keine Lehranstalt für irgendetwas gewesen und schon gar nicht für Humanität und Toleranz. Von den KZs kam nichts Gutes, und ausgerechnet sittliche Läuterung erwarte er? Sie seien die allernutzlosesten Einrichtungen gewesen, das möge man festhalten, auch wenn man sonst nichts über sie wisse. Man gibt mir weder recht, noch widerspricht man mir.

Ruth Klüger, weiter leben. Eine Jugend (1992)

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Jedes Aufheulen der Musik in der Nacht war eine Beschwörung, die nach Krieg und Mord schrie. Die Trommelsalven kamen zum Höhepunkt, in der Hoffnung, sich schließlich in blutigen Artilleriesalven zu entladen: In der Ferne sah ich...eine Kinderarmee in Schlachtordnung. Sie waren zwar reglos, doch in einem Trancezustand. Ich sah sie, nicht fern von mir, von dem Verlangen besessen, in den Tod zu rennen. Verzaubert von grenzenlosen Gefilden, von denen sie eines Tages lachend im Sonnenschein vorwärtsstürmen würden: hinter sich würden sie die Sterbenden und die Toten zurücklassen.

George Bataille, Das Blau des Himmels (1935)

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Als „Meilenstein der Erinnerungskultur“[1] gilt die kitschige TV-Miniserie „Holocaust“, die 1978 erstmals in den USA ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später sendete auch das ARD die „Geschichte der Familie Weiß“, so der deutsche Untertitel der dramatischen Inszenierung, und erschuf damit ein Medienereignis, das zum 40-jährigen Jubiläum scheinbar wiederholt werden soll.[2] Wie die Süddeutsche Zeitung titelt, soll die Einfühlung eines Massenpublikums in die Judenvernichtung wiederholt werden. Wahrscheinlich um überhaupt mal wieder etwas zu spüren.

Und noch ein weiteres Medienspektakel feiert 2019 Jubiläum: auch Steven Spielbergs Spielfilm Schindlers Liste wird anlässlich des Holocaustgedenktages am 27. Januar nach 25 Jahren wieder in den deutschen Kinos gespielt. Der Journalist und Kritiker Eike Geisel fand seinerzeit die wohl trefflichsten Worte zu diesen beiden TV Produktionen, die wahrlich einen Meilenstein bedeutet haben, für das, was er die „Wiedergutwerdung der Deutschen“ nannte. Zum Kinostart von Schindlers Liste kommentierte er 1994:

„Vor fünfzehn Jahren flossen Tränen der Rührung anläßlich der TV-Serie »Holocaust«, und der Spiegel titelte »Eine Nation ist betroffen«. Jetzt fließen wieder Tränen, aber diesmal auch solche des Stolzes. Damals verloren die Deutschen zwar die Contenance, aber endlich gab es wieder eine Geschichte, deren Höhepunkt entschlossen gegen den Vorwurf verteidigt wurde, man habe den Massenmord bloß bei den Bolschewisten abgekupfert. Jetzt sind sie nicht nur wie Gläubige nach der Beichte erleichtert und froh darüber, daß ihre Untaten weder auf Erden noch im Himmel vergolten werden, sondern jetzt wurde, was sie immer vermutet hatten, als erlösende Gewißheit bestätigt: Auschwitz war, man mußte es jahrzehntelang in seinem Innern unterdrücken, doch noch gut ausgegangen.“[3]

Für die Deutschen war das Happy End der TV-Produktionen über den Massenmord an den Juden demnach eine segensreiche Befreiung. Geisels Kritik an der bundesdeutschen „Erinnerungskultur“, die Auschwitz mittels einer Identifikation mit den NS-Opfern zu bewältigen versuchte, firmiert mittlerweile seit bereits seit über 20 Jahren als Staatsräson der BRD.

Was in der post-nationalsozialistischen Berliner Republik eine „Erlösung“[4] von Schuld und Verantwortung bedeutet hat, ist heute längst auch global zu einer positiven Sinnstiftung der Shoah verkommen. Spielberg, der Regisseur von Schindlers Liste und Gründer der USC Shoah Foundation, eine Stiftung, die seit 1994 weltweit über 50.000 Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden produziert hat, ist sich sicher, dass sein „storytelling“[5] der beste Weg ist, um „Hass“ entgegen zu treten. Seine Erzählung des Holocaust mit Happy End hat sich zielsicher ebenso in den unüberblickbaren Datenbergen der Interviews mit Holocaust-Überlebenden, denen hierzulande als „Zeitzeugen“ mit einer Hass-Liebe begegnet wird, durchgesetzt.[6] Einerseits schwingt in der seit den 1980er (!) Jahren ritualisierten Formel vom „Aussterben der Zeitzeugen“ der heimliche Wunsch mit, die übriggebliebenen Zeugen des Massenmordes sollten endlich vom Erdboden verschwinden. Andererseits ist die ‚Einfühlung ins Grauen‘ mittels der Geschichten auf Video – und dem neuesten Stand der Technik verpflichtet mittlerweile auch als virtuelle Hologramme - zwar grausam und emotional zutiefst belastend, aber zugleich ein Erlebnis, das in verträglich portionierten Stücken einwandfrei konsumierbar ist. Solange am Ende die Moral von der Geschichte eindeutig ist: es ist ja nochmal gutgegangen.

Was also bedeutet die neuerliche Ausstrahlung der „Soup Opera“ (Elie Wiesel) Holocaust und der Geschichte über den guten Deutschen Schindler im deutschen Fernsehen im Jahr 2019?

Womöglich, dass noch immer nichts begriffen worden ist. Dass Auschwitz 74 Jahre nach Kriegsende zwar präsenter denn je in den Medien und der öffentlichen Debatte vertreten ist, aber stets nur als Verweis auf eine dunkle Vergangenheit und zugleich Sinnbild für die Möglichkeit aus Scheiße Gold zu machen: sechs Millionen Tote Juden bedeuten heute Einschaltquoten im Millionenbereich. Wiederholt wird 2019 zwar nicht, wie die falsche Grammatik des SZ-Tweets nahelegt, die Judenvernichtung, aber neben der seichten Unterhaltung geht das Morden in der Welt munter weiter. Ende Januar wird es voller Pathos dann wieder in den Reden von Politikern und in den obligatorischen facebook-postings heißen: „Nie wieder!“

[1] Vgl. Stefan Reinecke, US-Fernsehserie „Holocaust“. Ein Meilenstein der Erinnerungskultur, Deutschlandfunk Kultur (07.01.2019), URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/us-fernsehserie-holocaust-ein-meilenstein-der.1005.de.html?dram:article_id=437527&fbclid=IwAR1FJXPVgDgujGjqOLAuSz-sdvq5CEcp9GE3OnjSvOck0lKq87MEe1lvm_A

[2] Jürgen Wilke, Die Fernsehserie „Holocaust“ als Medienereignis, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Die Fernsehserie „Holocaust“ – Rückblicke auf eine „betroffene Nation“, hrsg. von Christoph Classen, März 2004, URL: https://zeitgeschichte-online.de/thema/die-fernsehserie-holocaust

[3] Eike Geisel, E.T. bei den Deutschen. Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz (1994), wiederabgedruckt in: Ders., Die Wiedergutwerdung der Deutschen, Essays und Polemiken, Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Klaus Bittermann, Berlin 2015, S. 171-190, hier S. 177.

[4] Vgl. Ulrike Jureit: Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischenRampenlicht, in: Ulrike Jureit/Christian Schneider (Hrsg.), Gefühlte Opfer. Illussionen der Vergangenheitsbewältigung, Bonn 2010, S. 17-103.

[5]  Adam Popescu, Steven Spielberg on Storytelling’s Power to Fight Hate, in: New York Times (18.12.18), URL: https://www.nytimes.com/2018/12/18/arts/design/steven-spielberg-shoah-foundation-schindlers-list.html

[6] Vgl. Linde Apel, "You are participating in history". Das Visual History Archive der Shoah Foundation, in: Zeithistorische Forschungen 5, 2008, S. 438–445, hier S. 440.

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VIII

Die Tradition der Unterfickten belehrt uns darüber, daß der ´Ausnahmezustand´, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Sexualgeschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Orgasmus vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen die Sexlosigkeit sich verbessern. Deren Chance besteht nicht zuletzt darin, daß ihre Gegner ihr im Namen des Fortschritts als einer historischen Norm begegnen. - Das Staunen darüber, daß die Dinge, die wir miteinander erleben, im digitalen einundzwanzigsten Jahrhundert ´noch´ möglich sind, ist kein philosophisches. Es steht nicht am Anfang einer Erkenntnis, es sei denn der, daß die Vorstellung von Sexualgeschichte, aus der es stammt, nicht zu halten ist.

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I understood why Giovanni had wanted me and had brought me to his last retreat. I was to destroy this room and give to Giovanni a new and better life. This life could only be my own, which, in order to transform Giovanni's, must first become a part of Giovanni's room.

James Baldwin, Giovanni’s Room (1956)

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Antisemitism? I prefer baseball bats!

Oder wie es bei Woody Allan (Manhatten, 1979) so schön heißt:

“Isaac: Has anybody read that Nazis are gonna march in New Jersey? Ya know? I read it in the newspaper. We should go down there, get some guys together, ya know, get some bricks and baseball bats, and really explain things to 'em.

Party Guest: There was this devastating satirical piece on that on the op-ed page of the Times, just devastating.

Isaac: Whoa, whoa. A satirical piece in the Times is one thing, but bricks and baseball bats really gets right to the point of it.

Party Guest Helen: Oh, but really biting satire is always better than physical force.

Isaac: No, physical force is always better with Nazis.”

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"Man hat mir die Geschichte einer Frau erzählt, die einer Aufführung des dramatisierten Tagebuchs der Anne Frank beiwohnte und danach erschüttert sagte: ja, aber das Mädchen hätte man doch wenigstens leben lassen sollen. Sicherlich war selbst das gut, als erster Schritt zur Einsicht. Aber der individuelle Fall, der aufklärend für das furchtbare Ganze einstehen soll, wurde gleichzeitig durch seine eigene Individuation zum Alibi des Ganzen, das jene Frau darüber vergaß. Das Vertrackte solcher Beobachtungen bleibt, daß man nicht einmal um ihretwillen Aufführungen des Anne Frank-Stücks, und ähnlichem, widerraten kann, weil ihre Wirkung ja doch, so viel einem daran auch widerstrebt, so sehr es auch an der Würde der Toten zu freveln scheint, dem Potential des Besseren zufließt." Im Jahre 1959 konnte Adorno so etwas noch schreiben - er ahnte nichts von dem Wahnsinn, den die Diskursivierung der deutschen Barbarei als "Erinnerungskultur" annehmen sollte. Im Jahre 2017 benennt man deutsche Züge nach diesem jüdischen Mädchen als Höhepunkt der Vergangenheitsbewältigung und Symbol der Völkerfreundschaft. Happy Halloween.

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When we say „Never Again!“ is to rely on ourselves. As in Israel as well as in the Diaspora: We got to teach and to know how to use a gun. We got to teach and to know how to defend ourselves. That is the only way. Nobody gonna do it for us.

Testimony of Holocaust survivor Jack Unikowski, The Jewish Holocaust Museum and Research Centre conducted the interview on September 15, 1995 in Melbourne, Australia [VIDEO, 02:40:27]

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Ich mache mir nichts Besonderes aus dem idealisierten ›Arbeiter‹, wie er sich in den Gedanken des bürgerlichen Kommunismus spiegelt. Wenn ich aber einen lebendigen Arbeiter aus Fleisch und Blut im Kampf mit seinem natürlichen Feind, dem Polizisten sehe, brauche ich mich nicht zu fragen, auf wessen Seite ich stehe.

George Orwell [1938]: Mein Katalonien. Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg, Diogenes 1975, S. 155

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