Theodor W. Adorno, Nachgelassene Schriften (Hrsg. v. Theodor W. Adorno Archiv), Abteilung IV: Vorlesungen, Bd. 4, Kants »Kritik der reinen Vernunft« (1959), Hrsg. v. Rolf Tiedemann, 2. Vorlesung 14. 5. 1959, S. 28f., Ffm. 1995.
Es geht im Grunde bei Kant immer darum, daß Vernunft kritisiert wird nicht etwa im Sinn einer bloßen logischen Vernunft – ob sie in sich selber geradezu mit logischem Denken identisch –, sondern der Sinn der Kantischen Vernunft ist überall, daß die Vernunft reflektieren soll auf ihr eigenes mögliches Verhältnis zu verschiedenen Typen von Gegenständen; wobei allerdings […] vorausgesetzt wird, daß dabei die Vernunft es vermag – was ja eine starke Zumutung ist –, über ihr eigenes Verhältnis zu den Gegenständen etwas Verbindliches, etwas wirklich Zwingendes auszumachen.
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Deutung, sagte ich, ist Kritik an den stillgestellten Phänomenen dadurch, daß an dem Stillgestellten die in ihm aufgespeicherte Dynamik, also daß Geschichte an dem, was zweite Natur ist, enthüllt wird; aber andererseits auch dadurch, daß das Gewordene den Schein seines Ansichseins verliert und in seiner Gewordenheit dargestellt wird, - so wie es vor allem (wenn ich einmal einen ganzen philosophischen Komplex eine Sekunde lang unter diesen Aspekt rücken darf) das Verfahren der Marxschen Kritik ist, die durchweg darin besteht, daß gezeigt wird, daß alle erdenklichen gesellschaftlichen und ökonomischen Momente, die naturhaft scheinen, ihrerseits geworden und geschichtlich sind. Also: es gibt immer diese Reziprozität, daß das, was als Natur scheint, als Geschichtliches aufgedeckt wird, während oft andererseits das, was geschichtlich ist, als ein Vergängliches in seiner Naturhaftigkeit sich erweist. Und hinter diesem Moment steht eben die geschichtlich gewordene Dialektik von Subjekt und Objekt, die nicht auf ihren reinen Begriff zu bringen sind. Unmittelbarkeit zerstören heißt dabei soviel wie: das Ansichsein des Gewordenen kritisch aufzulösen; den Anspruch aufzulösen, die gewordenen Phänomene seien ganz und gar das, was sie sind.
Adorno, Theodor W. (2014): Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (1964/65), Nachgelassene Schriften, Vorlesungen Band 13, Frankfurt a. M. , S. 190f. (via hintergrundrauschen)
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Antike griechische Philosophie, Griechische Philosophie und Materialismus, Hegel, Platon, Materialismus, Einführung in die Geschichte der Philosophie.
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Die Aufgabe des dialektischen Denkens kann es nicht sein, mit Begriffen zu jonglieren etwa in der Art, daß man nun irgendwelche Bestimmungen, die ein Begriff hat, unter der Hand durch andere Bestimmungen desselben Begriffs ersetzt. Ein solcher Weg wäre in der Tat der Weg des sophistischen Denkens und nicht der des dialektischen Begriffs. Sondern das, was ihrem Ideal nach – von dem ich der letzte bin zu behaupten, daß es stets und in jeder dialektischen Operation nun auch erfüllt sei – von der Dialektik eigentlich verlangt wird, das ist vielmehr, die Begriffe selbst derart zu verwenden, derart ihre Sache zu verfolgen, vor allem den Begriff mit dem von ihm Gemeinten so lange zu konfrontieren, bis sich zeigt, daß sich zwischen einem solchen Begriff und der von ihm gemeinten Sache gewisse Schwierigkeiten herstellen, die dann dazu nötigen, den Begriff mit dem Fortgang des Denkens in einer gewissen Weise zu verändern, ohne daß man dabei jedoch die Bestimmungen, die der Begriff ursprünglich hat, aufgeben dürfte. Sondern vielmehr vollzieht sich diese Änderung gerade durch die Kritik an dem ursprünglichen Begriff – also dadurch, daß gezeigt wird, daß der ursprüngliche Begriff mit seiner Sache selber, wie wohldefiniert sie auch scheinen mag, nicht übereinstimmt – und tut insofern dem ursprünglichen Begriff Gerechtigkeit an, als sie darauf drängt, daß dieser ursprüngliche Begriff eben doch mit der Sache übereinstimmt.
Theodor W. Adorno: Einführung in die Dialektik, Frankfurt am Main 2010, S. 18.
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