»Wenn es möglich wäre, zehn, hundert, ein Million Jahre nach dem Tod, in irgendeinem Augenblick, in dem einer zu Staub, zu einem Wurm, zu Nichts geworden ist, das Ich und die Erinnerung zurückzuerlangen und den Tag der Liebe wiederzusehen, den er heute erlebt, und mit dem Nichts zu vergleichen, das er dann ist – wenn das mögliche wäre, dann würde er die Sehnsucht nach dem Paradies empfinden, in das er niemals gelangen wird. Was er erführe, gilt im Leben schon für jeden Abend, jedes Ende, jeden vergehenden Moment des Glücks, und wer es weiß, nimmt die Erfahrung in die Erwartung des Erwachens und der Dauer mit hinein, die für die Spanne des Lebens im Gegensatz zum Nichts gestattet ist. Auf die künftige Liebe fällt ein Schatten, der Fluch, daß es kein Verweilen gibt, der Fluch der Vertreibung. Die Liebe, die dadurch blasser wird, verdient ihren Namen nicht. Die sich dagegen aufbäumt, ist eitel. Der Fluch ist die Wahrheit.«
Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 6, Notizen 1949-1969, S. 376, Frankfurt/M. 2008.