»Und Törleß wachte mit einem Schrei auf: Kant!« (Robert Musil, Die Verwirrungen des Zögling Törleß) – Moses Mendelssohn bezeichnete einmal Kants »Kritik der reinen Vernunft« als ein »Nervensaft verzehrendes Werk«. Ob es am rationalistischen Geist dieses Werkes liegt, welches wie eine vampirische Macht erscheint, was Törleß widerfährt, als er versucht, es mit diesem aufzunehmen? »Törleß hatte sich nämlich gleich am Morgen die Reclamausgabe jenes Bandes [Kants Kritik der reinen Vernunft] gekauft, die er bei seinem Professor gesehen hatte, und benützte die erste Pause, um mit dem Lesen zu beginnen. Aber vor lauter Klammern und Fußnoten verstand er kein Wort, und wenn er gewissenhaft mit den Augen den Sätzen folgte, war ihm, als drehe eine alte, knöcherne Hand ihm das Gehirn in Schraubenwindungen aus dem Kopfe. Als er nach etwa einer halben Stunde erschöpft aufhörte, war er nur bis zur zweiten Seite gelangt, und Schweiß stand auf seiner Stirne. Aber dann biß er die Zähne aufeinander und las nochmals eine Seite weiter, bis die Pause zu Ende war. Abends aber mochte er das Buch schon nicht mehr anrühren. Angst? Ekel? - er wußte nicht recht. Nur das eine quälte ihn brennend deutlich, daß der Professor, dieser Mensch, der nach so wenig aussah, das Buch ganz offen im Zimmer liegen hatte, als sei es für ihn eine tägliche Unterhaltung.«