»Ich will nicht wissen, wer ich bin.«1 – Es wird das Ich nicht mehr geben, da es das Lesen und das Schreiben auch nicht mehr geben wird. Man wird zwar weiterhin einen Spiegel der Welt aufstellen, dessen Position unbestimmt, dessen Weltausschnitthaftigkeit in seiner Bestimmtheit nur abhängig bildendes erlaubt, dennoch eröffnet dieser Spiegel der Welt nichts weniger als die Chance auf selbstständige, weil erwartungswidrige Reflexion. Seit dem man entdeckt hat, dass die eigene Weltausschnitthaftigkeit einen entsetzt, treibt man aus dem Fürsichsein im Maßanzug heraus seine Unheimlichkeitsauslese. So wird das Leben in Nirgendheim sein. Aber wie nur ist man zu diesem Fürsichsein gekommen? Und wie nur ist man in diesen Maßanzug hineingeraten? - Denn es ist praktisch Wahnsinn, dass man sich darin zu erblicken vermag. Was man im Spiegel betrachten kann, wenn man in diesen hineinschaut, lässt kaum mehr als etwas Befangenes erblicken, so dass sich einem zumindest etwas abzeichnet, was der Satz, Ich will nicht wissen, wer ich bin, bedeuten kann. Daß man etwas davon wiedererkennt, das sieht nur so aus. Man kann in diesem Fall wirklich nicht von Glück reden. Dass man unter Entsetzen sich nicht mehr wiedererkennen, sich entstellt erblicken würde, das zumindest würde einem noch eine Chance aufs Glück offenhalten. Jedoch zum Grauen darf man nicht allein bleiben, dazu braucht man noch immer jemand anderen. Man photographiert das Ganze: Man sieht einen Mann in einem billigen Kostüm, neben dem eingerahmten Bild schreibt man auf den breiten geometrisch exakten Rand: Gefahr im Anzug.
Dadurch, dass in dieser Welt alles durchrationalisiert wird, wird man im Leben um alles betrogen. Zu konstatieren, dass es nicht, nicht mehr das Ich geben kann, was, so vermutet man, nicht einmal mehr die erste und einzige Enttäuschung bleiben wird, wird einem auf jeden Fall klar machen, dass man in der Hölle der Enttäuscher und Enttäuschten gelandet ist. Es ist eventuell nur noch eine letzte Illusion, die den melancholischen Genius zu den interpretierenden Impulsen dieser Welt provoziert. Verselbständigt produziert sie seinen Realismus als eine Droge, die in einem einzigen Resümee, die Kosten sind für die Überzeugung, dass das Anorganische das unwahrscheinlichste Potential der beseelten Welt ist. Der Spiegel der Welt, so abwesend er sich auch zu dieser Welt verhält - (da sie sich außerhalb seiner Reichweite nicht zeigt, obwohl sie in der Spaltung der Sinnlichkeit sich unabhängig von diesem zu ereignen erscheint), vermag deren Erscheinen als reflektierte Gestalt dennoch selbständig hervorbringen, da er sie doch wider erwartungswidrig zu reproduzieren vermag.
Man ist also ein flüchtig hingemachter Mann. Man ergibt nicht vielmehr als ein Strichmännchen, dessen Einsamkeit und die Warenwelt, unversöhnlich auseinanderbrechend, nichtsdestotrotz Korrelate bleiben; dem auf seine Inwendigkeit zurückgeworfenen Subjekt werden die anderen und anderes draußen, die ihm ihr Gesetz heteronom, unbegreiflich aufzwingen, zu kleinen bizarren Maschinen des automatischen Subjekts. Um sie zu ertragen, regrediert man einsam, als vernichtete man sich selbst, in die Jahre seiner vorindividuellen Existenz, lacht eben über das, was einem Panik bereitet. Das Lächeln als Zeichen einer Insichgekehrtheit, als empfindliche Abgesondertheit von jemand, den etwas Bestimmtes quält. Man weiß durchaus darum, mag man auch nicht so genau wissen, wie das geartet ist, erst recht nicht, wohin es einen führen wird, so ist es doch mit ziemlicher Sicherheit keine fortwährende Fröhlichkeit, kein lautes Lachen, das einen schüttelt. Es sind Affekte, in denen sich der Humor nur gelegentlich äußert, als Witz eines Bewußtseins von etwas Abgründigen, das man geradezu lustvoll mit einem Lächeln quittiert. Bewegt von einer düsteren Fröhlichkeit, durchdrungen von melancholischer Komik, wehrt man mit diesem Lächeln zugleich das alltägliche Grauen ab, das aus sämtlichen Ritzen quillt.2
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1 Man hört, nach dem man Friedhofspfleger von Heiner Müllers Grab die letzte Erde der Grube fest trampeln sieht, in dem Dokumentationsfilm »Ich will nicht wissen, wer ich bin« Heiner Müller's Stimme aus dem Off: „Im Notfall kann man sich immer auf Goethe zurückziehen, in Deutschland, und er hat es sehr schön gesagt: Gott bewahre mich davor, mich selbst zu erkennen, ich will nicht unbedingt wissen.“ - »Ich will nicht wissen, wer ich bin«, ein Film von Christoph Rüder und Thomas Irmer, Deutschland 2009, >.