»Das Phantom der Welt.« – Die Erkenntnis des »Phantoms der Welt« erfaßt die untrennbare Verbundenheit von Innen und Außen, was nicht nur der Transzendenz durch die Immanenz, sondern auch der Immanenz durch die Transzendenz etwas entgegnet. Das »Phantom der Welt« ist aber, wie in einer unendlichen Bewegung begriffen, durch den Fluch der Vereinzelung, ein Inneres: Wer angesichts diesem nicht außer sich selbst gerät, ergibt bloß die Farce einer tragischen Immanenz. Man muß nicht zögern, auszusprechen, daß für das Transzendente nur ein wenig Resignation, nur ein wenig Gewalt gegen sich selbst genügt. Überdies muß der Immanenz mehr zurückgegeben werden, als man für ihre Produktion entnimmt; bereits für ihren Glanz legt man sich für gewöhnlich mächtig ins Zeug, dessen Unwiderstehlichkeit die Folgen lakonisch und lapidar ausfällt. Um das beobachten zu können, bedarf es unendlich präziser Paradigmen exakter Phantasie: Beim Biersuff nachsinnend überm Nutzen der Geschichte läßt es sich nämlich ziemlich gemütlich zergehen. Der Zigarre, die man dabei raucht, sieht man es nicht an, daß sie eine Zigarre ist, auch wenn Freud einmal zu einer Madame gesagt haben soll, daß eine Zigarre manchmal bloß eine Zigarre sei. Denn beim Genuß einer Zigarre, was man getrost als einen mythischen Akt bezeichnen kann, raucht nicht der Begriff die Zigarre, derweil [man] sie raucht. Es bleibt auch nicht bei dieser Irritation als die einzige, die man hienieden auf Erden erleben durfte. Das klingt tröstlich, und man muß es wissen. Denn das Dasein der Zigarre ist so oder so unvermeidlich.1
1 Dieser letzte Satz gewinnt eine weitere Bedeutung, wenn man aus Raoul Tranchirers vielseitigen großen Ratschläger für alle Fälle der Welt die Abbildung von einem Herren mit einer außergewöhnlichen Zigarre und aufgrund der im wahrsten Sinne des Wortes barocken Exzentrik dieses Ensembles eingehender betrachtet. Diese verwundert nicht nur damit, das dieser Herr in Relation zu seinen Körpermaßen eine exorbitant viel größere Zigarre in der Luft hielt, sondern auch, das sein Schatten noch kürzer ausfiel als die Größe seines Körpers; somit erschien dieser Mann um ein weiteres mal verkleinert. Dennoch schien es diesem Herren gelungen zu sein, den Zigarrenrauch, der an ein schlangenartiges Zeichen einer fremden Sprache erinnerte, nicht in ein monströses Ausmaß, wie das der Zigarre, ausufern zu lassen. Man muß nämlich wissen, das das Rauchen von Zigarren Kunstfertigkeit erfordert, will man seinen Atem als eine außeralltägliche Kraft realisieren, welche die Aggregate der Atmosphäre mit dem Sitz der Wünsche, der Lunge, mischt. Dem riesigen Leib der Zigarre gebietete er mit dem Talent eines guten Schauspielers, seinem geistvoll durchtrainierten Körper, ohne linkische, schlenkernde oder schlaffe Bewegungen, in der Horizontalen zu verweilen; oder aber die schwebende Anwesenheit des riesigen Zigarrenleibes korrespondierte bereits mit der Andeutung der flüchtigen Natur ihres Rauchs; beim Betrachten dieses Bildes war es ja wie für den kantschen Alleszermalmer förmlich zum Greifen nahe, das sie wie ein Zeppelin von den Gesetzen der himmlischen und luftigen Elemente abwich. Der Herr wirkte also wie ein eleganter Zigarrenraucher, der raucht, nicht weil er nicht denkt, sondern der nie mehr raucht, als er denkt. Die monströse Zigarre ließ es begründet erscheinen, das im allgemeinen zwischen Denken und Rauchen keineswegs ein moderantistisches Maß anzusetzen, sondern Extreme im Sinne folgenden Satzes sich vermitteln: fortuna immoderata est in bono aeque atque in malo. Das Bild von diesem Tabak genießenden Herren versprach, daß er diesem halbweltlichen und unvollständigen Organ zur größten Verwunderung eines faszinierten Publikums wie ein Dompteur jeden Augenblick noch weitere Kunststücke zu entlocken vermochte. [Vgl. Abbildung, S. 339; vgl. auch das Stichwort »Zigarre, verzauberte«, S. 340.] So kongenial diese Abbildung zu den beiden Stichworten »Zigarre« und »Zigarre, verzauberte« sich fügt, so dient sie nicht nur „der gewiß vorhandenen Augenlust“ [Vorwort zur zweiten Auflage, s. S. 8], sondern weckt sehr schicklich „vor allem den Sinn für das Selbstverständliche“ [a. a. O.], „von dem wir umgeben sind“ [a. a. O.], weil sie weder die Sätze zu dem Stichwort Zigarre bloß illustriert, noch kommentiert, sondern in dem beanspruchten Sinne des Vorworts zur zweiten Auflage mit diesem Bild folgende Passage übersetzt: „Der Tabak ist ein Welteroberer; das Rauchen ist ein Bedürfnis im menschlichen Leben, mit dem wir zu rechnen haben. In bezug auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Rauchens stehen sich die Meinungen schroff gegenüber: der eine will nichts von Zigarren wissen; der andere will unter gar keinen Umständen von den Zigarren lassen. Nach diesen einfachen Gesetzen lassen sich alle Fragen über Zigarren beantworten. Es fallen somit alle zarteren Rücksichten fort.“ [Vgl. das Stichwort Zigarre, S. 339-340] Die beschriebenen Abbildungen und zitierten Passagen entstammen einem Ratschläger, der „aus dem Gedanken entstanden“ ist, „alle jene Erfahrungen und Kenntnisse alphabetisch zu ordnen, welche den täglichen Aufenthalt in der Welt erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen.“ Und in dessen „Allgemeine Vorausbemerkungen & Winke zum Gebrauch des vorliegenden Werkes“ Raoul Tranchirer nichts weniger behauptet, als daß „ein einziger Blick in das reich illustrierte Buch wird erkennen lassen, daß es kaum eine Frage, ein Bedürfnis, eine Lebensverlegenheit gibt“, auf die er „nicht eine erschöpfende Antwort gefunden habe.“ [S. 7] Diese wahnwitzig anmutende Anmaßung erscheint mir das richtige Antidot zu jenem mundus vult decipi. [Ror Wolf, Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger für alle Fälle der Welt, Frankfurt/M. 1999.]