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#gedächtnis – @noxe on Tumblr
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NOXE

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Jakob Blumtritts Tagesgeschäft: die ästhetischen Sinne der Philosophie des Geistes; und der Geist ward der nervöse Genius der Materie.
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Denn mit den Störungen des Gedächtnisses ist eine Intermittenz, eine Arrhythmie des Herzens verbunden. Zweifellos verleitet uns die Existenz unseres Körpers, der uns wie ein Gefäß vorkommt, in dem unsere Geistigkeit eingeschlossen ist, zu der Vermutung, daß alle Güter unseres Inneren, unsere vergangenen Freuden, unsere Schmerzen unaufhörlich sich in unserem Besitz befinden. Vielleicht ist es ebensowenig zutreffend zu glauben, daß sie uns entfallen oder wiederkehren. Auf alle Fälle, wenn sie uns bleiben, so die meiste Zeit in einem unbekannten Bereich, in dem sie ohne Nutzen für uns sind und wo sogar die allervertrautesten von Erinnerungen einer anderen Ordnung zurückgedrängt werden, die jede Gleichzeitigkeit mit jenen in unserem Bewußtsein ausschließen. Wenn wir aber des Rahmens der Empfindungen, in dem sie aufbewahrt sind, wieder habhaft werden, so haben diese ihrerseits ganz die gleiche Macht, alles abzustoßen, was unvereinbar mit ihnen ist, und allein in uns das Ich wiederherzustellen, das sie einstmals erlebte.

Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Sodom und Gomorrha, II, Erstes Kapitel, S. 3818ff., Suhrkamp 2010, >.

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Man wird mir nachsehen, daß ich den Holocaust […] nur erwähne, um folgendes darüber zu sagen: Es gibt sicherlich das Datum jenes Holocaust, das wir kennen, die Hölle unseres Gedächtnisses; doch gibt es für jedes Datum einen Holocaust, er findet stündlich irgendwo auf der Welt statt. Jede Stunde zählt ihren Holocaust.

Jacques Derrida, Schibboleth. Für Paul Celan. Aus dem Französischen von Wolfgang Sebastian Baur. Hg. v. Peter Engelmann, S. 93, Wien 2007.  

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Ausgraben und Erinnern Die Sprache hat es unmißverständlich bedeutet, daß das Gedächtnis nicht ein Instrument für die Erkundung des Vergangenen ist, vielmehr das Medium. Es ist das Medium des Erlebten wie das Erdreich das Medium ist, in dem die alten Städte verschüttet liegen. Wer sich der eignen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten wie ein Mann, der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen, immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurückzukommen - ihn ausstreuen wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich umwühlt. Denn ‘Sachverhalte’ sind nicht mehr als Schichten, die erst der sorgsamsten Durchforschung das ausliefern, um dessentwillen sich die Grabung lohnt. Die Bilder nämlich, welche, losgebrochen aus allen früheren Zusammenhängen, als Kostbarkeiten in den nüchternen Gemächern unserer späten Einsicht - wie Torsi der Galerie des Sammlers - stehen. Und gewiß ist’s nützlich, bei Grabungen nach Plänen vorzugehen. Doch ist unerläßlich der behutsame, tastende Spatenstich in’s dunkle Erdreich. Und der betrügt sich selber um das Beste, der nur das Inventar der Funde macht und nicht im heutigen Boden Ort und Stelle bezeichnen kann, an denen er das Alte aufbewahrt. So müssen wahrhafte Erinnerungen viel weniger berichtend verfahren als genau den Ort bezeichnen, an dem der Forscher ihrer habhaft wurde. Im strengen Sinne episch und rhapsodisch muß daher wirkliche Erinnerung ein Bild zugleich von dem der sich erinnert geben, wie ein guter archäologischer Bericht nicht nur die Schichten angeben muß, aus denen seine Fundobjekte stammen, sondern jene andern vor allem, welche vorher zu durchstoßen waren.

Walter Benjamin: Berliner Chronik. In: Gesammelte Schriften. Bd. VI: Fragmente, Autobiographische Schriften. Frankfurt am Main 1984. S. 486.

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′Was ist das Menschengehirn anderes als ein ungeheures natürliches Palimpsest? Mein Gehirn ist ein Palimpsest, und das deinige, lieber ebenfalls, lieber Leser. Unzählige Schichten von Gedanken, Bildern, Gefühlen haben sich unmerklich wie das Licht, nach und nach in deinem Gehirn abgelagert. Jede neue Schicht schien die vorhergehende zu begraben. In Wahrheit aber ging keine zugrunde.′ Dennoch, zwischen dem Palimpsest, auf welchem, eines über dem andern, eine griechische Tragödie, eine Mönchslegende und ein Ritterroman geschrieben wurden, und dem von Gott erschaffenen göttlichen Palimpsest, das unser unermeßliches Gedächtnis darstellt, besteht dieser Unterschied, daß auf dem ersten eine Art phantastisches, groteskes Chaos herrscht, ein Gegen- und Durcheinander von heterogenen Elementen; während bei dem zweiten das vorherrschende Temperament notwendigerweise einen Zusammenklang zwischen den widerstreitendsten Elementen stiftet. Ein Leben mag noch so sehr jedes Zusammenhangs entbehren, die Einheit des Menschen wird dadurch nicht gestört. Könnte man jedes Echo der Erinnerung gleichzeitig mit allen anderen heraufrufen, sie würden zusammen ein Konzert bilden, ein angenehmes oder ein schmerzhaftes, jedenfalls ein logisches und ohne ohne Dissonanzen. Von einem plötzlichen Unfall überrascht, vom Wasser jäh erstickt und in Todesgefahr, haben Menschen oft das ganze Theater ihres vergangenen Lebens sich erhellen gesehen. Die Zeit war vernichtet, und einige Sekunden hatten genügt, eine Fülle von Gefühlen und Bildern, die Jahren gleichkam, zu enthalten. Das Seltsamste an dieser Erfahrung, die der Zufall, mehr als einmal hervorgerufen hat, ist nicht die Gleichzeitigkeit so vieler Erlebnisse, die nacheinander stattgefunden hatten, sondern das Wiedererscheinen alles dessen, von dem der Mensch selber nichts mehr wußte, das er jedoch genötigt war als ihm eigentümlich wiederzuerkennen. Das Vergessen ist also nur eine Sache des Augenblicks; und bei solchen feierlichen Anlässen, im Tode vielleicht, und gewöhnlich in den Zuständen hoher Erregtheit, wie das Opium hervorruft, entrollt das ganze ungeheure und schwer zu entziffernde Palimpsest des Gedächtnisses sich auf einen Schlag, mit all seinen überlagernden Schichten erstorbener Gefühle, die dort geheimnisvoll einbalsamiert liegen in dem, was wir Vergessen nennen.

Charles Baudelaire, Sämtliche Werke/Briefe in acht Bänden, Hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois in Zusammenarbeit mit Wolfgang Drost, Bd. 6, Die Künstlichen Paradiese. Opium und Haschisch, VIII Visionen in Oxford, Das Palimpsest, S.174 f., München Wien 1989.

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