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#fiktion – @noxe on Tumblr
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NOXE

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Jakob Blumtritts Tagesgeschäft: die ästhetischen Sinne der Philosophie des Geistes; und der Geist ward der nervöse Genius der Materie.
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Zum Begriff des Erzählens:

»Überhaupt nichts kann durch Erzählen gewusst werden.«1

»Jedes Wort ist ein unnötiger Fleck auf der Stille und Leere.«2

»Mein Los, das tausch’ ich auf gut Glück mit jedem Mistkerl, Galgenstrick, wie Höllenfeuer brennt die Qual, ich muß heraus, hab’ keine Wahl, das Leben ist mir hassenswert, wer leiht ein Messer, hält das Schwert? Anderes Leid – Gold gegen die verfluchte Last: Melancholie.«3

»Ich weiß nicht, ob ich nichts zu sagen habe, ich weiß, dass ich nichts sage; ich weiß nicht, ob das, was ich zu sagen hätte, nicht gesagt wird, weil es das Unsagbare ist (das Unsagbare verkriecht sich nicht im Geschriebenen, es ist das, was das Schreiben lange zuvor ausgelöst hat); ich weiß, dass das, was ich sage, leer ist, farblos ist, ein für allemal das Zeichen ist für eine Vernichtung, die ein für allemal ist. Genau das sage ich, das schreibe ich, und nur das findet sich in den Worten, die ich hinsetze, und in den Zeilen, die diese Worte zeichnen, und in den leeren Räumen, die der Abstand zwischen diesen Zeilen erscheinen lässt: ich kann noch so sehr meinen Sprachschnitzern hinterherjagen […] oder zwei Stunden lang von der Länge des Mantels meines Papas träumen oder in meinen Sätzen, um sie natürlich sogleich zu finden, die Lieblingsmelodie des Ödipus- oder des Kastrationskomplexes suchen, ich werde, selbst in meiner ewigen Wiederholung, in meinem bis zum Überdruss gehenden Grübeln immer nur den letzten Widerschein eines dem Geschriebenen fehlenden Wortes, den Skandal ihres Schweigens und meines Schweigens finden: ich schreibe nicht, um zu sagen, dass ich nichts sagen werde, ich schreibe nicht, um zu sagen, dass ich nichts zu sagen habe. Ich schreibe: ich schreibe, weil wir zusammen gelebt haben, weil ich unter ihnen geweilt habe, einer unter ihnen gewesen bin, ein Schatten inmitten ihrer Schatten, ein Körper nahe bei ihren Körpern; ich schreibe, weil sie in mir ihr unauslöschliches Zeichen hinterlassen haben und weil das Schreiben die Spur dieses Zeichens ist: die Erinnerung an sie ist für das Geschriebene tot; das Geschriebene, das Schreiben, ist die Erinnerung an ihren Tod und die Bejahung meines Lebens.«4

»Alle Objekte der schriftstellerischen Tätigkeit werden unter der einen allgemeinen Vorstellung »Wahrheit« subsumiert. Sehen wir nun selbst vom Subjektiven ab, nämlich davon, daß ein und derselbe Gegenstand in den verschiedenen Individuen sich verschieden bricht und seine verschiedenen Seiten in ebenso viele verschiedene geistige Charaktere umsetzt; soll denn der Charakter des Gegenstandes gar keinen, auch nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung ausüben? Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg. Die Untersuchung der Wahrheit muß selbst wahr sein, die wahre Untersuchung ist die entfaltete Wahrheit, deren auseinandergestreute Glieder sich im Resultat zusammenfassen. Und die Art der Untersuchung sollte nicht nach dem Gegenstand sich verändern?«5 _______________________________________________________________

1 George Spencer Brown, Laws of Form, Einleitung, S. 12, Leipzig 2008.

2 Samuel Beckett

3 Robert Burton, Anatomie der Melancholie.

4 Georges Perec, W oder die Kindheitserinnerung, S. 47 f., Zürich 2012.

5 Karl Marx, MEW 1, Bemerkungen über die neue preußische Zensurinstruktion. Von einem Rheinländer, S. 7, Berlin 1956.

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»Zum Schreiben-Können, wie mit allen Wassern gewaschen.«

Man braucht nicht eine Prosa, von der sich nur die Vorstellung von einer Musik entwickeln lässt, sondern eine, die einem die Musik für Staub der sinnlichen und intellektuellen Anschauung eingibt. Man kann nicht mehr mit Lesern als bloße Textempfänger rechnen, für die man sich im Text verborgene Verfahren ausdenkt, dass und wie sie an Texten partizipieren. Man wird notwendigerweise so schreiben müssen, dass den Lesern nichts anderes übrig bleibt, als sich selbständig zu verhalten. Es gilt eventuell, so zu schreiben, dass das Geschriebene und Gelesene nicht einmal als ein- und dasselbe erscheinen kann, derart, dass einem ein Lesen auffällt, aus dem die Spontaneität des Denkens hervor zu treiben vermag, so wie ein aus dem Ei gepellter, betrunkener Statistiker an der Theke entlang auf einen zu torkelt; und während man ihm dabei zuschaut, man unwillkürlich den Eindruck gewinnt, dass er das Denken gerade mit den Füßen lernt.

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noxe

Über den dritten Höllenkreis in der Divina Commedia von Dante Alighieri steht: »Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.« Mittlerweile jedoch bewegt man sich, nur um unterhalten zu sein, permanent in der Hölle der Enttäuscher und Enttäuschten; man weiß dies durch Brecht. Dazu braucht es bloß das Talent, zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden, um diese Hölle tolerieren zu können.     

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reblogged
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zitiertes
Die Theorie ist mehr als ein Modell oder eine Hypothese, die sich anhand von Experimenten verifizieren oder falsifizieren ließe. Starke Theorien wie etwa Platons Ideenlehre oder Hegels Phänomenologie des Geistes sind keine Modelle, die sich durch Analysen von Daten ersetzen ließen. Ihnen liegt ein Denken im emphatischen Sinne zugrunde. Die Theorie stellt eine wesentliche Entscheidung dar, die die Welt ganz anders, in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Sie ist eine primäre, primordale Dezision, die darüber entscheidet, was dazugehört und was nicht, was ist oder zu sein hat und was nicht. Als hochselektive Narration schlägt sie eine Schneise der Unterscheidung durch das noch ‘Unbefangene’.

Agonie des Eros, Byung-Chul Han, Matthes & Seitz Berlin, 2012; S. 62.

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remifentanil
Wäre es nicht besser, dem Tode den Platz in der Wirklichkeit und in unseren Gedanken einzuräumen, der ihm gebürt, und unsere unbewußte Einstellung zum Tode, die wir bisher so sorgfältig unterdrückt haben, ein wenig mehr hervorzukehren? Es scheint das keine Höherleistung zu sein, eher ein Rückschritt in manchen Stücken, eine Regression, aber es hat den Vorteil, der Wahrhaftigkeit mehr Rechnung zu tragen und uns das Leben wieder erträglicher zu machen. Das Leben zu ertragen bleibt ja doch die erste Pflicht aller Lebenden. Die Illusion wird wertlos, wenn sie uns darin stört. Wir erinnern uns des alten Spruchs: Si vis pacem, para bellum. Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege. Es wäre zeitgemäß ihn abzuändern: Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.

Sigmund Freud, Zeitgemäßes über Krieg und Tod, II Unser Verhältnis zum Tode, in: Imago, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften IV, 1915, S. 20, via

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Genügt es nicht, Stufen der Scheinbarkeit anzunehmen und gleichsam hellere und dunklere Schatten und Gesamttöne des Scheins - verschiedene valeurs, um die Sprache der Maler zu reden? Warum dürfte die Welt, die uns etwas angeht - nicht eine Fiktion sein? Und wer da fragt: »aber zur Fiktion gehört ein Urheber?« - dürfte dem nicht rund geantwortet werden: Warum? Gehört dieses »Gehört« nicht vielleicht mit zur Fiktion? Ist es denn nicht erlaubt, gegen Subjekt, wie gegen Prädikat und Objekt, nachgerade ein wenig ironisch zu sein? Dürfte sich der Philosoph nicht über die Gläubigkeit an die Grammatik erheben? Alle Achtung vor den Gouvernanten: aber wäre es nicht an der Zeit, daß die Philosophie dem Gouvernanten-Glauben absagte?

Friedrich Nietzsche, Werke und Briefe, Band 2, Jenseits von Gut und Böse, Zweites Hauptstück. Der freie Geist, 34, Hrsg. v. Karl Schlechta, S. 600, München 1954.

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Schlimm genug, daß heut zu Tage die Wahrheit ihre Sache durch Fiktion, Romane und Fabeln führen lassen muß.

Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 1, Hrsg. v. Wolfgang Promies, [Aus den »Sudelbüchern«], S. 798, München 1967 ff.

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