»Queequegs coffin«
»Im Ganzen wird man finden, daß, sobald es dahin gekommen ist, daß die Schrecknisse des Lebens die Schrecknisse des Todes überwiegen, der Mensch seinem Leben ein Ende macht. Der Widerstand der letzteren ist jedoch bedeutend: sie stehn gleichsam als Wächter vor der Ausgangspforte. Vielleicht lebt Keiner, der nicht schon seinem Leben ein Ende gemacht hätte, wenn dies Ende etwas rein Negatives wäre, ein plötzliches Aufhören des Daseyns. – Allein es ist etwas Positives dabei: die Zerstörung des Leibes. Diese scheucht zurück; eben weil der Leib die Erscheinung des Willens zum Leben ist. […] Wenn in schweren, grausenhaften Träumen die Beängstigung den höchsten Grad erreicht; so bringt eben sie selbst uns zum Erwachen, durch welches alle jene Ungeheuer der Nacht verschwinden. Das Selbe geschieht im Traume des Lebens, wann der höchste Grad die Beängstigung uns nöthigt, ihn abzubrechen.«1
Scheint der Tod, als Negativität der Existenz, durch Erlösung ausgetauscht und besiegt, wird er doch wiederum nur durchs reproduzierte Überleben als ein Simulacrum dissimuliert. Gewiss kämpft man dann noch immer gegen den Tod, nichtsdestotrotz kann dies nur verkehrt gelingen. Die Ironie dieses Dispositivs will es, dass dieser Kampf nur innerhalb der Symptome sich abspielt: Man ist so sehr vom drohenden Tod gezeichnet, dass das Leben, das nicht lebt, seinen Schrecken und sein Grauen verliert. Derweil Leben »sich in die Ideologie der Verdinglichung« verwandelt, welche »eigentlich die Maske des Toten« ist, die für eine »gesellschaftliche Physiognomik«2 noch kritisch zu interessieren vermag, gilt es, dieses elende Verhängnis von Kritik und Krisis zu fassen: Was man erkennt, scheint dieser Maske des Toten zu gleichen. In allem aber was geschieht, im Handeln, in der gewissenlosen Kontemplation, in der bedenkenlosen Tat, scheint das Gebilde eines unbekannten, jedoch vernunftbegabten Wesens hinter der vernunftlosen Maske des Toten auf. Wenn also jemand schlagen will, so schlage er durch diese Maske, diese insgeheim von allen produzierte gesellschaftliche Wirklichkeit. Hingegen stirbt niemand, weil er sterben muss, sondern nur weil man sein Bewusstsein gezwungen hat, sich zu beugen.3 Diese Rationalisierung, die durchaus als ein religiöser Glauben sich beobachten lässt, kann permanent dadurch irritiert werden, dass der Tod keineswegs meine eigene Möglichkeit ist, sondern ein kontingentes Faktum, das mir als solches prinzipiell entgeht, und zu der schwächsten Form, nämlich zu meiner ursprünglichen Faktizität4 gehört: der Identität mit mir selbst.
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1 Arthur Schopenhauer, Werke in fünf Bänden, Bd. V, Parerga und Paralipomena II, Zweiter Band., Kapitel XIII. Ueber den Selbstmord, § 158 bzw. § 159, S. 276 bzw. 277, Zürich 1991.
2 Theodor W. Adorno, GS 10.1, Kulturkritik und Gesellschaft I/II, Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, Kulturkritik und Gesellschaft, S. 25.
3 Da man versucht ist, den Tod in permanenter Furcht zu verdrängen, vermag er aus diesem Grund zu bannen. Man wird die Soufflage des futuristischen Clowns Klaus Nomi, die von seinem Lager aufsteigt, hingegen nicht absolut verwerfen können: »What power you art thou, who from below?« [Es existiert eine Studio-Photographie, auf der man Klaus Nomi auf einer Art Steinsarkophag liegen sieht, an dessen Grund jenes Wort von John Dryden aus der Oper King Arthur* or the british worthy* zu lesen ist. Klaus Nomi interpretiert dieses Lied des Gold Genius hier] Dass der Tod, entgegen Heidegger, nicht die Ganzheit des Daseins konstituiert, lässt sich an den heterogenen Chiffren ablesen, die aus zahlreicheren Lücken als jenes Nadelöhr sich spinnen, von dem Jesus in einem seiner Gleichnisse spricht, und die zwischen dem grimmschen Etwas besseres als den Tod finden wir allemal und Adornos Seit Auschwitz heißt den Tod fürchten, Schlimmeres fürchten als den Tod durch Extreme vermittelt in einer Spannung eingeschrieben sind, die weder einen Vergleich scheuen noch je wirklich kümmert.
4 »Vergessen wir nicht, daß die Tatsachen von uns geschaffen sind.« Benedetto Croce, Theorie und Geschichte der Historiographie, zit. n.: Ludwig Rubiner, Künstler bauen Barrikaden. Texte und Materialien 1908-1919, Zur Krise des geistigen Lebens, S. 126, Hrsg. v. Wolfgang Haug, Darmstadt 1988.