Jürgen Joedicke. Zur Formalisierung des Planungsprozesses. Stuttgart. 1969
I started this tumblr 2013 as a platform to visualize the research of my doctoral thesis „Vom Stil zum Programm. Friedrich Nietzsche und der Deutsche Werkbund“ (Towards a Programmatic Architecture. Friedrich Nietzsche and the German Werkbund), which analyzes the influence of philosopher Friedrich Nietzsche upon the founding of the german German Werkbund in its early phase between 1907 and 1914. The research should open an alternative view of the intellectual fundamentals of architectural modernism, by focussing on the strong - but until today hidden - connections between the crisis of architecture at the end of the 19th century, the hope connected with an artistic life and the role model of the era of Attic tragedy postulated by Friedrich Nietzsche. At the end of 2018 the thesis, which was supervised by the Chair of architectural theory Gerd de Bruyn and the chair of architectural history Klaus Jan Philipp at the University of Stuttgart has finally been published. It can be viewed and downloaded HERE
Unfortunately for my english speaking readers the thesis is written and published in german, but on page 13 you can find an english written abstract to give you a short overview view of the work.
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Nicht die baukünstlerischen Leistungen lassen uns die Bauten früherer Zeiten so bedeutungsvoll erscheinen, sondern der Umstand, daß antike Tempel, römische Basiliken und auch die Kathedralen des Mittelalters nicht Werke einzelner Persönlichkeiten, sondern Schöpfungen ganzer Epochen sind. Wer fragt angesichts solcher Bauten nach Namen und was bedeutet die zufällige Persönlichkeit ihrer Erbauer? Diese Bauten sind ihrem Wesen nach ganz unpersönlich. Sie sind reine Träger eines Zeitwillens. Hierin liegt ihre tiefste Bedeutung. Nur so konnten sie Symbole ihrer Zeit werden.Baukunst ist immer raumgefaßter Zeitwille, nichts anderes. Ehe diese einfache Wahrheit nicht klar erkannt wird, kann der Kampf um die Grundlagen einer neuen Baukunst nicht zielsicher und mit wirksamer Stoßkraft geführt werden; bis dahin muß er ein Chaos durcheinander wirkender Kräfte bleiben. Deshalb ist die Frage nach dem Wesen der Baukunst von entscheidender Bedeutung. Man wird begreifen müssen, daß jede Baukunst an ihre Zeit gebunden ist und sich nur an lebendigen Aufgaben und durch die Mittel ihrer Zeit manifestieren läßt. In keiner Zeit ist es anders gewesen.Deshalb ist es ein aussichtsloses Bemühen, Inhalt und Formen früherer Bauepochen unserer Zeit nutzbar zu machen. Selbst die stärkste künstlerische Begabung muß hier scheitern. Wir erleben immer wieder, daß hervorragende Baumeister nicht zu wirken vermögen, weil ihre Arbeit nicht dem Zeitwillen dient. Sie sind letzten Endes trotz ihrer großen Begabung Dilettanten, denn es ist bedeutungslos, mit welchem Elan das Falsche getan wird. Auf das Wesentliche kommt es an. Man kann nicht mit zurückgewandtem Blick vorwärts schreiten und nicht Träger eines Zeitwillens sein, wenn man in der Vergangenheit lebt. Es ist ein alter Trugschluß fernstehender Betrachter, für die Tragik solcher Fälle die Zeit verantwortlich zu machen.
Baukunst und Zeitwille 1924. Ludwig Mies van der Rohe.
[...] Ebensowenig hat er [Wagner] gelernt, sich durch Historie und Philosophie zur Ruhe zu bringen und gerade das zauberhaft Sänftigende und der That Widerrathende ihrer Wirkungen für sich herauszunehmen. Weder der schaffende, noch der kämpfende Künstler wurde durch das Lernen und die Bildung von seiner Laufbahn abgezogen. Sobald ihn seine bildende Kraft überkommt, wird ihm die Geschichte ein beweglicher Thon in seiner Hand; dann steht er mit einem Mal anders zu ihr als jeder Gelehrte, vielmehr ähnlich wie der Grieche zu seinem Mythus stand, als zu einem Etwas, an dem man formt und dichtet, zwar mit Liebe und einer gewissen scheuen Andacht, aber doch mit dem Hoheitsrecht des Schaffenden. Und gerade weil sie für ihn noch biegsamer und wandelbarer als jeder Traum ist, kann er in das einzelne Ereigniss das Typische ganzer Zeiten hineindichten und so eine Wahrheit der Darstellung erreichen, wie sie der Historiker nie erreicht. Wo ist das ritterliche Mittelalter so mit Fleisch und Geist in ein Gebilde übergegangen, wie diess im Lohengrin geschehen ist? Und werden nicht die Meistersinger noch zu den spätesten Zeiten von dem deutschen Wesen erzählen, ja mehr als erzählen, werden sie nicht vielmehr eine der reifsten Früchte jenes Wesens sein, das immer reformiren und nicht revolviren will und das auf dem breiten Grunde seines Behagens auch das edelste Unbehagen, das der erneuernden That, nicht verlernt hat? [...]
Richard Wagner in Bayreuth: § 3 1876. Friedrich Nietzsche
S/F featured in HORIZONTE Journal for Architectural Discourse
S/F member Stefan Staehle has been featured in the 9th Issue of HORIZONTE Zeitschrift fur Architekturdiskurs (Journal for Architectural Discourse). His text „All Palaces Are Temporary Palaces“ takes the functional decay of the Palace of Justice in Brussels as an occasion to examine the monumental monstrosity under situationist aspects. The 9th issue deals with the topic „Ruin“ and includes contributions by Serafina Amoroso, HHF Architekten, Benjamin Busch, Eric A. Kahn & Russell M. Thomsen, Gregory Marinic, Fabiano Micocci, Paul Polaris, Felix Rossl, Diana Soeiro, Daniel Springer, Louis Volkmann, Andy Westner & Christian Zohrer, Collectivo Zooburbia and WAI Think Tank.
Plan of the First Goetheanum (1913-1921), Rudolf Steiner
Wunderbarlich Hauss Architectura von Vestungen (1589), Daniel Speckle
Oswald Spengler und die Kunst
Oswald Spengler (1880-1936) gilt seit seinem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ (Der erste von zwei Bänden - Gestalt und Wirklichkeit - erscheint 1918 der zweite - Welthistorische Perspektiven - 1922) als geistiger Vater der „Konservativen Revolution“, einer nationalistischen Bewegung, die nach der Niederlage des ersten Weltkrieges die Destabilisierung und Abschaffung der Weimarer Republik vom rechten politischen Spektrum her betreibt und dem Aufstieg der Nationalsozialisten maßgeblich Vorschub leistet.
Spenglers politisches Ideal bildet eine vormoderne, altpreussische Gesellschaftsordnung, die er im Gegensatz zur momentanen Situation in Deutschland (noch) nicht durch Klassenkämpfe und Individualismus geschwächt sieht. Diese bringt er programmatisch gegen den noch jungen Parlamentarismus Weimars in Stellung. In seinen Augen behindert die Demokratie, eine undeutsche, englische Erfindung, die natürliche Entwicklung der deutschen Nation und wirkt ihrem Emporkommen zur europäischen Führungsmacht entgegen. Die Gegenwart erscheint in diesem Buch als Zeitalter des Niedergangs, gegen dessen Auswirkungen sich auserwählte Einzelne durch Härte und Überzeugung in einem ständigen Kampf bewähren müssen. Die eigentliche Kultur wandelt sich durch permanente Degeneration zur Zivilisation, die schlußendlich erstarrt, untergeht und Platz für eine neue Kultur schafft.
Das Zeitalter der Cäsaren
„Der Untergang des Abendlandes“, der in den politisch unruhigen Jahren zwischen 1911 und 1917 entsteht, entwirft eine morphologische Gesamtschau der Geschichte - Parallelitäten zwischen dem Aufstieg und Fall menschlicher Hochkulturen. Für Spenglers biologistische Sichtweise sind die Geschichten von Kulturen nicht mehr als eine Ansammlung von Biographien, deren Verlauf stets von Aufstieg, über ihre Blüte, bis zum unaufhaltsamen Verfall reicht. Der - im 19. Jahrhundert populären - historistischen Auffassung von Geschichte als evolutivem Prozess und wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeiten, setzt Spengler die Idee des Zyklus und der monadischen Struktur von Hochkulturen entgegen. Das wilhelminische Deutschland befindet sich für Spengler auf einer Stufe mit dem antiken Rom, am Übergang von der Republik zum Cäsarismus - bedroht von Vermassung, Geldanbetung und einem irrigen Vernunftglauben. Die Preussen werden in Spenglers Weltbild zu modernen Römern während am Horizont bereits das Zeitalter nietzscheanischer „Gewaltmenschen“ dämmert.
„Damit ist der Eintritt in das Zeitalter der Riesenkämpfe vollzogen, in dem wir uns heute befinden. Es ist der Übergang vom Napoleonismus zum Cäsarismus, eine allgemeine Entwicklungsstufe vom Umfang wenigstens zweier Jahrhunderte, die in allen Kulturen nachzuweisen ist.“ (S.520) „Denn dieses Jahrhundert ist das der stehenden Riesenheere und der allgemeinen Wehrpflicht. Wir sind ihm noch zu nahe, um das Schauerliche dieses Anblicks und das Beispiellose innerhalb der gesamten Weltgeschichte zu empfinden. Seit Napoleon stehen beständig Hunderttausende, zulädt Millionen, marschbereit, liegen gewaltige Flotten, die alle zehn Jahre erneuert werden, in den Häfen. Es ist ein Krieg ohne Krieg, ein Krieg des Überbietens mit Rüstungen und Schlagfertigkeit, ein Krieg der Zahlen, des Tempo, der Technik, und die Diplomaten verhandeln nicht von Hof zu Hof, sondern von Hauptquartier zu Hauptquartier. Je länger die Entladung verzögert wird, desto ungeheuerlicher werden die Mittel, desto unerträglicher wächst die Spannung.“ (S. 237) Im Kampf um die globale Vorherrschaft treten die europäischen Mächte in einen unerbittlichen Wettbewerb, der angestammte Traditionen, Sitten und Gebräuche hinwegfegt1. Die Staaten sehen sich mit einem fortschreitenden, stets beschleunigendem Prozess konfrontiert, der durch den Übergang von Parteien zu Gruppen bis hin zu Einzelpersonen, die um die machtpolitischen Entscheidungen ringen, charakterisiert wird. Spenglers Thesen fallen in den politisch unklaren Verhältnissen des sich am Übergang von der Monarchie zur Republik befindenden Deutschlands auf fruchtbaren Boden. Thomas Mann notierte 1919 - bevor er sich Jahre später endgültig von Spenglers Thesen distanzierte - in sein Tagebuch: „…daß Spenglers Buch in meinem Leben Epoche machen könnte…wie vor 20 Jahren die Welt als Wille und Vorstellung…Beendete gestern den ersten Band….mit höchster Teilnahme. Das wichtigste Buch!“
Wider die Großstadt
Im Zentrum der Überlegungen steht der elementare Gegensatz zwischen Stadt und Land. „In Städten ist [nach Spenglers Sicht] schlecht zu leben“2, denn während die bäuerlichen Existenz der Landbewohner die wahre Kultur beherbergt, mutiert die Stadt mit ihren individualistischen und demokratischen Lebenskonzepten zum Ort der Zivilisation: zum Schauplatz des kulturellen Niedergangs.3 Durch die Demokratie beherrscht das Geld die Städte, bestimmt der Handel und die industrielle Produktion das tägliche Leben.4 Denn auch die Produktion, die Spengler noch mit der selben Erdverbundenheit wie das Bauerntum ausgestattet sieht5, wird sich in absehbarer Zeit den Regeln des Geldes und der Hochfinanz unterordnen, denn „ebenso titanisch ist nun der Ansturm des Geldes auf diese geistige Macht [des Ingenieurs]“.6 Nur der Cäsarismus ist für Spengler in der Lage mit der Diktatur des Geldes und der damit direkt verbundenen Herrschaft der Demokratie zu brechen.7
"Aber damit steht das Geld am Ende seiner Erfolge, und der letzte Kampf beginnt, in welchem die Zivilisation ihre abschließende Form erhält: der zwischen Geld und Blut." (S.634) "Faustische Kunst"
Wie die Morphologie der Kulturen besteht für Spengler eine Morphologie der Kultur. Mit Verweis auf den „Wickelmann“ des omnipräsenten Goethes heißt es im Bezug auf Vellejus Paterculus: „Auf seinem Standorte war es ihm nicht gegeben, die ganze Kunst als ein lebendiges anzusehen, das einen unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachstum, einen glänzenden Augenblick seiner Vollendung, eine stufenfällige Abnahme, wie jedes andere organische Wesen, nur in mehreren Individuen notwendig darstellen muss.“ In diesem Satz ist die ganze Morphologie der Kunstgeschichte enthalten.“8 In der Nachfolge der „apollinischen“ und morgenländischen - der magischen - Gedankenwelt der Antike entstand um das Jahr 1000 die „faustische“ Kultur Europas. Diese technisch geprägte Weltsicht ist charakterisiert durch eine ruhelosen Dynamik, die Naturbeherrschung, das Überschreiten und die Umsetzung stets neuer Erkenntnisse.
„Wir waren es und nicht die Hellenen, nicht die Menschen der Hochrenaissance, welche die unbegrenzten Fernsichten vom Hochgebirge aus schätzten und suchten. Das ist eine faustische Sehnsucht. Man will allein mit dem unendlichen Raume sein.“ (S.312)
Die faustischen Künste, das faustische Selbstverständnis der Menschen des Nordens ist für Spengler im Expansionsdrang der ersten Stauferkaiser begründet, die für sich und ihr Geschlecht keine Grenze ihres Herrschaftsbereichs akzeptierten. Im Gegensatz zur antiken apollinischen Kunst, die sich von Außen nach Innen entwickelt9, hat sie ihren Ursprung im Innern, von wo aus sie sich ausdehnt, in die Weite und in die Höhe strebt. Durch die Fassaden kommuniziert das Innere der apollinischen Bauwerke mit den Menschen des umgebenden Stadtraumes, verwirklicht sich ihnen ein dialogisches künstlerisches Konzept.
„Das Motiv der Fassade, die den Betrachter anblickt und vom inneren Sinn des Hauses zu ihm redet, beherrscht nicht nur unsere großen Einzelbauten, sondern das gesamte fensterreiche Bild unsrer Straßen, Plätze und Städte.“ (S.292)
Für Spengler ist die Geschichte der Architektur keine evolutive Geschichte aufeinander aufbauender Bautechnik, sondern eine Geschichte von Baugedanken10. Stile sind Ausdruck der Kultur11, „Romantik, Gotik, Renaissance, Barock, Rokoko, nur Stufen ein und desselben Stils“12, „Stilphasen“13. In der Architektur und Kunst lassen sich typische Merkmale - die Ursymbole - aller Kulturen entdecken: ägyptischer Weg, antiker Körper und unendlicher Raum des Nordens finden in Pyramiden, griechischer Plastik und den Domen der Gotik ihren spezifischen Ausdruck. Doch nur in ihren ersten Bauten liefern die Epochen wahre Zeugnisse ihres Daseins und Wesens14. Sobald aus den ländlichen Kulturen urbane Zivilisationen erwachsen waren, erstarrte die kulturelle Dynamik der Völker, dann „erlischt das echte Ornament“, „wird die Kunst zum Kunstgewerbe“ und „tritt an die Stelle des Baustils ein Baugeschmack“15, enden Engagement und Fortschritt. „Dann erlischt der Stil. Auf die bis zum äußersten Grade durchgeistigte, zerbrechliche, der Selbstverwirklichung nahen Formensprache des Erechtheion und des Dresdner Zwingers folgt ein matter und greisenhafter Klassizismus, in hellenistischen Großstädten ebenso wie in Byzanz von 900 und im Empire des Nordens. Ein Hindämmern in leeren, ererbten, in anarchistischer oder eklektizistischer Weise vorübergehend wiederbelebter Formen ist das Ende.“ (S.269)
„Sie werden durch ein falsches Abbild ersetzt, [das] nicht nicht viel mehr als die Maske des eigentlichen Werkes [ist]. Stil ist nicht, wie der flache Semper - ein echter Zeitgenosse Darwins und des Materialismus - meinte, das Produkt von Material, Technik und Zweck.“16 Kunst für die Massen lehnt Spengler ab - für ihn ist Kunst ein elitäres Projekt, denn „die große Menge der Kirchenbesucher war niemals imstande, die Messen Okeghems, Palestrinas oder gar Bachs zu verstehen, Sie langweilten sich bei Mozart oder Beethoven. Sie lässt Musik lediglich auf die Stimmung wirken. In Konzerten und Galerien redet man sich nur Interesse an diesen Dingen ein, seit die Aufklärung die Phrase von der Kunst für alle geprägt hat. Aber eine faustische Kunst ist nicht für alle. Das gehört zu ihrem innersten Wesen.“17 Das Ende der Kunst Doch mit Ende der kulturellen Entwicklungen erblickt Spengler auch das Ende der Kunst - mit Wagners Tristan hatte die produktive faustische Kunst ihren Lebensatem ausgehaucht, „dies Werk ist der Schlußstein der abendländischen Musik“18, denn „das Zeitalter des Cäsarismus bedarf keiner Kunst und Philosophie“19. Spengler schließt mit der Frage, die sich das 19. Jahrhundert so oft stellte: „Was besitzen wir heute [1917] unter dem Namen „Kunst“? Eine erlogene Musik voll von künstlerischem Lärm massenhafter Instrumente, eine erlogene Malerei voll idiotischer, exotischer und Plakateffekte, eine erlogene Architektur, die auf dem Formenschatz vergangener Jahrtausende alle zehn Jahre einen neuen „Stil“ begründet, in dessen Zeichen jeder tut, was er will, eine erlogene Plastik, die Assyrien, Ägypten und Mexiko bestiehlt.“20 Für Spengler existierte aus dieser Situation nur einen Ausweg, der Verzicht auf Kunst im Ganzen.
Literatur:
Spengler, Oswald (1923): Der Untergang des Abendlandes: Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München: Beck
1 „Eine geschichtlich Tatsache bleibt nur der beschleunigte Abbau uralter Formen, der für cäsarische Gewalten freie Bahn schafft." S. 525 2 Spengler bezieht sich hier auf eine Textstelle von Nietzsches "Also sprach Zarathustra". S. 41 3 „Das ist das Entscheidende: der echte Städter ist nicht erzeugend im ursprünglichen erdhaften Sinne. Ihm fehlt die innere Verbundenheit mit dem Boden wie mit dem Gut, das durch seine Hände geht. Er lebt nicht mit ihm, sondern er betrachtet es von außen und nur in Bezug auf seinen Lebensunterhalt." S.603 4 „Demokratie ist die vollendete Gleichsetzung von Geld und politischer Macht.“ S.608 5 „Auch die Industrie ist noch erdverbunden wie das Bauerntum. Sie hat ihren Standort und ihre dem Boden entströmten Quellen der Stoffe. Nur die Hochfinanz ist ganz frei, ganz unangreifbar.“ S.633 6 S.633 7 „Die Heraufkunft des Cäsarismus bricht die Diktatur des Geldes und ihrer politischen Waffe, der Demokratie.“ S.634 8 S.266 9 „Alle antike Baukunst beginnt von außen, alle abendländische von innen.“ S.290 10 „Die Geschichte der großen Architekturen hat durch nicht schwerer gelitten als dadurch, daß man sie für die Geschichte von Bautechniken hielt statt für die von Baugedanken., die ihre technischen Ausdrucksmittel nahmen, wo sie sie fanden.“ S.253 11("Der Stil ist wie die Kultur ein Urphänomen im strengsten Sinne Goethes, sei es der Stil von Künsten, Religionen, Gedanken oder der Stil des Lebens selbst." (Spengler 1923, S.266)) 12 S.262 13 S.266 14 „Deshalb ist in allen Kulturen der frühe Kultbau der eigentliche Sitz der Stilgeschichte“ S.250 15 S. 256 16 S.287 17 S.316 18 S.375 19 S.552 20 S.380
Boulevard of the History of Architecture (1970), Hans Dieter Schaal
Inseln im Datenstrom
Die Digitalisierung ist nicht nur Teil unseres Alltags geworden, sondern wirkt auch direkt auf unsere gebaute Umgebung. In einer Zeit, in der sich der Umgang mit Informationen zunehmend digitalisiert, stellt sich vor allem für die Bibliothek die Frage nach ihrer Existenzberechtigung. Dabei geht ihre gesellschaftliche Funktion weit über das Sammeln, Bereitstellen und vermitteln von Wissen hinaus. "Es gibt keinerlei praktisches Hindernis für die Erschaffung eines funktionierenden Verzeichnisses alles menschlichen Wissens, aller Gedanken und Ideen und Errungenschaften. Also für die Erschaffung eines vollständigen, weltumfassenden Erinnerungsspeichers für die gesamte Menschheit", konstatierte der britische Schriftsteller und Science-Fiction-Pionier H.G. Wells 1938. Doch bis zur Realisierung seiner Vision des allumfassenden ,,World Brains" sollten noch 60 Jahre vergehen, ehe erschwingliche Personal Computer und deren globale Vernetzung durch das World Wide Web die dafür erforderlichen Grundlagen schufen.
H.G. Wells ,,World Brain" ist heute Wirklichkeit geworden - Computer, Tablets und Smartphones ermöglichen uns ständigen Zugang zum digitalen Datenstrom. Doch nicht nur der Löwenanteil der tagtäglich bereitgestellten Informationen gelangt auf diesem Wege zu uns, - der wöchentlichen Auflage des ,,Spiegels" von 910.000 Exemplaren stehen monatlich 173.000.000 (!) Seitenaufrufe des dazugehörigen Onlineangebots gegenüber. Durch die Digitalisierung bereits vorhandener, physisch gebundener Wissensbestände öffentlicher Bibliotheken und Archive vollzieht sich vor unseren Augen eine gewaltige Migrationsbewegung hin zur Sphäre des Digitalen. Deren vorläufigen Höhepunkt markierte die Ankündigung des Internetunternehmens Google, bis zum Jahre 2015 mehr als 15 Millionen Bücher - das entspricht in etwa 4,5 Milliarden beschriebenen Seiten - zu scannen, zu indexieren und über die firmeneigene Suchmaschine zugänglich zu machen.
Der Phasenwechsel von der physischen in die digitale Welt macht Informationen mobil und global verfügbar. Für die Nutzer bieten sich neue Chancen. sich Wissen anzueignen, das noch bis vor Kurzem außerhalb ihrer persönlichen Reichweite lag. Gleichzeitig stellen diese Vorgänge die Existenz von Orten, an denen Wissen heutzutage gespeichert und aufbewahrt wird, konkret von Archiven und Bibliotheken, infrage. Debatten über die räumlichen Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigen Architektenschaft wie Feuilletons der Republik seit geraumer Zeit: Von der Bibliothek als Auslaufmodell ist da zu lesen. Sie müsse sich sowohl für digitale Angebote öffnen, als auch serviceorientierter werden. Aber eigentlich sei sie ein hoffnungsloser Fall. Ein Verlierer der Geschichte, dem dasselbe Schicksal zuteilwerden wird wie dem gedruckten Buch.
Um es vorwegzunehmen, das große Bibliothekensterben ist bis heute ausgeblieben. Jährlich besuchen rund 200 Millionen Menschen eine der 8000 Bibliotheken in Deutschland und entleihen dabei 470 Millionen Medien. Spektakuläre Neubauten, wie das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin von Max Dudler oder Herzog de Meurons Universitätsbibliothek in Cottbus, machen deutlich: Auch in Zeiten digitalisierten Wissens scheint noch immer ein elementarer Wunsch nach konkreten Orten zu bestehen, in denen Wissen für den Menschen zugänglich und erfahrbar wird. Denn Ordnen und Katalogisieren bilden die Kernkompetenzen einer jeden Bibliothek und machen für uns Nutzer eine sinnvolle Verwendung von Wissen überhaupt erst möglich. Eine Aufgabe, deren gesellschaftliche Relevanz im Angesicht exponentiell steigender Datenmengen nicht hoch genug zu schätzen ist. Bis heute ist die Bibliothek eine Erfolgsgeschichte, hat sich als überaus robust gegenüber gesellschaftlichen Umbrüchen und Neuerungen erwiesen. Sie stelle ,,das kostbarste Monument einer Nation dar" schrieb 1785 der französische Architekt Étienne-Louis Boullée und gab damit der besonderen Wertschätzung dieser Bauaufgabe Ausdruck. Die Bibliothek avancierte zum Symbol der Aufklärung und zum emblematischen Bauwerk der architektonischen Moderne: Ob Henri Labroustes Bibliothek Sainte-Geneviève, Ivan Leonidovs Konzept für das Lenin-Institut in Moskau oder Le Corbusiers Mundaneum, stets vereinte sich in diesen Entwürfen der Wunsch, Fortschritt und Geschichte zu verbinden, gesellschaftliches Wissen zu bewahren und an kommende Generationen weiterzugeben.
Auch wenn ihre Existenz heute nicht grundsätzlich infrage gestellt ist, wird die fortschreitende Digitalisierung für die Bibliotheken nicht ohne Folgen bleiben: Toyo Itos Mediathek in der japanischen Stadt Sendai und das Rolex Learning Center des Architektenduos SANAA in Lausanne lassen in ihrer organischen Transparenz Leitmotive zukünftiger Gestaltung erahnen. Die okkulten Bücherburgen der Vergangenheit sind durchlässig geworden. Als zeitgenössischer Ausdruck der Wissenskultur haben sich Bibliotheken von Informationslagerräumen zu Knotenpunkten des globalen Wissens gewandelt - Mediatheken, in denen Besucher neben Büchern ein Zusammenspiel unterschiedlicher Kommunikations- und Medienformate vorfinden.
Die Transformation der technischen Medien hat dabei nicht nur die Darstellung des Raumes verändert, sondern auch die Art, wie wir ihn heute denken, wahrnehmen und entwerfen. Der traditionelle Raumbegriff, der stets an ein bestimmtes Medium gebunden war, muss im Angesicht aktueller Entwicklungen neu verhandelt werden. Gleichzeitig erweitert die zunehmende Individualisierung der Nutzerinteressen das Raumangebot des traditionellen Nebeneinanders von Lesesaal und Magazin. Eine differenzierte Raumfolge, die vor allem durch Zonen des Übergangs zwischen verschiedenen Tätigkeiten, Kontakt- und Ruhezonen charakterisiert ist, wird das Raumprogramm der zukünftigen Bibliothek entscheidend prägen.
Neben gestalterischen und medientheoretischen Überlegungen rückt die Gestaltung von Bibliothek aber auch aus einem weiteren Grund in den Fokus aktueller Debatten. lm zeitgenössischen städtischen Umfeld, in dem Belange des öffentlichen Raumes mit einem immer stärker werdenden Privatisierungsdruck und gesellschaftlichen Kontrollmechanismen kollidieren, die Passagen von Shopping-Malls zunehmend überwachte Zonen etablieren, bietet die Bibliothek ihren Nutzern einen geschützten Rückzugsort.
Der französische Philosoph Michel Foucault bezeichnet diese besonderen Zonen als "Heterotopien", Räume, in denen gewohnte gesellschaftliche Regeln außer Kraft gesetzt sind, in denen eigene Gesetze herrschen. Bibliotheken bilden in diesem Sinne inklusive Orte, Orte, an denen Kontemplation und kreativer Widerstand möglich werden und in denen sich Wissen von äußeren Zwängen befreit: In ihnen manifestiert sich das Ideal gesellschaftlicher Teilhabe.
H.G. Wells Glaube an wissenschaftliche Segnungen, wich zum Ende seines Lebens kolossaler Ernüchterung. Seines Erachtens machte die zunehmende Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Welt produktiven geistigenFortschritt unmöglich. Vielleicht würde er seine Meinung heute ändern, denn trotz der unermesslichen globalen Datenflut existieren noch immer Orte, an denen Nachdenken, Kontemplation und Muße möglich sind.
Erschienen in: Portal 28, Bildungsbauten (2013)
ANTIavantgarde
Verringert die ständig wachsende Bilderflut, die uns in einem atemlosen Tempo mit Trends, Moden und Kuriositäten konfrontiert, unsere Fähigkeit einen tiefgreifenden und in irgendeiner Form relevanten Diskurs über Architektur zu führen? Kratzen wir nicht immer nur an der Oberfläche, ohne noch zum Kern der Dinge vorzudringen? Ist unsere Konditionierung schon so weit fortgeschritten, das wir die eigentlichen Mechanismen hinter den dynamisierten Bild- und Warenwelten nicht mehr hinterfragen, einen bloßen Scheindiskurs führen? Ist unsere Fähigkeit zur Kritik verkümmert? Sind wir zur Kritiklosigkeit verdammt?
Das Spektakel ist das Kapital in einem solchen Akkumulationsgrad, dass es zum Bild wird. Guy Debord / Die Gesellschaft des Spektakels
Während sich die Bildproduktion im Laufe des 20. Jahrhunderts rasant beschleunigte und sich zu einem visuellen Dauerzustand verdichtete, trotzte die Architektur dieser Entwicklung beinahe stoisch. Ihre Qualität war der Raum, ihre sprichwörtliche Immobilität.
Project for the transformation of the Pantheon (1797), Charles De Wailly via Anti-Vitruv & Super-Brunelleschi
Autonomie oder Revolution
Zwischen der Vollendung des Palais de Justice im Jahre 1883 und dem Satz Le Corbusiers, Architektur sei das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper (1) vergehen gerade einmal 39 Jahre. Folgenreiche 39 Jahre. Könnte doch der Unterschied im Vergleich der Architekturen - der Palast auf der einen und zum Beispiel einem Pavillon de l'esprit nouveau auf der anderen Seite - kaum größer sein. Wie kommt es, dass in einem derartig kurzen Zeitraum ein überbordender und maßloser Eklektizismus gegen die mönchische Strenge eines Le Corbusiers eingetauscht wird?
Es gehört zum Gründungsmythos dessen, was wir rückblickend als klassische Moderne bezeichnen, dass ein harter Schnitt zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert postuliert wird. Die Moderne erhebt sich wie der Phönix aus der Asche des Historismus.
Mit Mathematik und Erfindungskraft ist heute alles möglich, wenn man über ausreichend funktionierende Hilfsmittel verfügt, und diese Hilfsmittel gibt es. Le Corbusier (2)
What happened to Boullée II (2011)
Toward a Minor Architecture (2012), Jill Stoner
La Città Analoga (1976), Aldo Rossi