Harras, der kühne Springer
Noch harrte im heimlichen Dämmerlicht
Die Welt dem Morgen entgegen,
Noch erwachte die Erde vom Schlummer nicht,
Da begann sich's im Tale zu regen.
Und es klingt herauf wie Stimmengewirr,
Wie flüchtiger Hufschlag und Waffengeklirr,
Und tief aus dem Wald zum Gefechte
Sprengt ein Fähnlein gewappneter Knechte.
Und vorbei mit wildem Ruf fliegt der Tross,
Wie brausen des Sturm's und Gewitter,
Und voran auf feurig schnaubendem Ross
Der Harras, der mutige Ritter.
Sie jagen, als gält' es den Kampf um die Welt,
Auf heimlichen Wegen durch Flur und Feld,
Den Gegner noch heut zu erreichen
Und die feindliche Burg zu besteigen.
So stürmen die fort in des Waldes Nacht
Durch den fröhlich aufglühenden Morgen.
Doch mit ihm ist auch das Verderben erwacht,
Es lauert nicht länger verborgen;
Denn plötzlich bricht aus dem Hinterhalt
Der Feind mit doppelt stärk'rer Gewalt:
Das Hifthorn ruft furchtbar zum Streite,
Und die Schwerter entfliegen der Scheide.
Wie der Wald dumpf donnernd wiederklingt
Von ihren gewaltigen Streichen!
Sie Schwerter klingen, der Helmbusch winkt,
Und die schnaubenden Rosse steigen.
Aus tausend Wunden strömt schon das Blut:
Sie achten's nicht in des Kampfes Glut,
Und keiner will sich ergeben,
Denn Freiheit gilt's oder Leben.
Dich dem Häuflein des Ritters wankt endlich die Kraft,
Der Übermacht muss er erliegen.
Das Schwert hat die meisten hingerafft:
Die Feinde, die mächtigen, siegen.
Unbezwingbar nur, eine Felsenburg,
Kämpft Harras noch und schlägt sich durch,
Und sein Roß trägt den mutigen Streiter
Durch die Schwerter der feindlichen Reiter.
Und er jagt zurück in des Waldes Nacht,
Jagt irrend durch Flur und Gehege;
Denn flüchtig hat er des Weges nicht acht,
Er verfehlt die kundigen Stege.
Da hört er die Feinde hinter sich drein,
Schnell lenkt er tief in den Forst hinein:
Und zwischen den Zweigen wird's helle,
Und er sprengt zu der lichteren Stelle.
Da hält er auf steiler Felsenwand,
Hört unten die Wogen brausen;
Er steht an des Zschopautals schwindelndem Rand,
Und blickt hinunter mit Grausen.
Aber drüben auf waldigen Bergeshöhn
Sieht er seine schimmernde Veste stehn:
Sie blickt ihm freundlich entgegen,
Und sein Herz pocht in lauten Schlägen.
Ihm ist's, als ob's ihn hinüberrief,
Doch es fehlen ihm Schwingen und Flügel,
Und der Abgrund, wohl fünfzig Klafter tief,
Schreckt das Ross, es schäumt in den Zügel.
Und mit Schaudern denkt er's und blickt hinab,
Und vor sich und hinter sich sieht er sein Grab;
Er hört, wie von allen Seiten
Ihn die feindlichen Scharen umreiten.
Noch sinnt er, ob Tod aus Feindes Hand,
Ob Tod in den Wogen er wähle.
Dann sprengt er vor an die Felsenwand,
Und befiehlt dem Herrn seine Seele.
Und näher schon hört er der Feinde Troß,
Aber scheu vor dem Abgrund bäumt sich das Roß;
Doch er spornt's, daß die Fersen bluten,
Und er setzt hinab in die Fluten.
Und der kühne, grässliche Sprung gelingt:
Ihn beschützen höh're Gewalten;
Wenn auch das Ross zerschmettert versinkt,
Der Ritter ist wohl erhalten;
Und er teilt die Wogen mit kräftiger Hand,
Und die Seinen stehen an des Ufers Rand,
Und begrüßen freudig den Schwimmer.
Gott verläßt den Mutigen nimmer.