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#dietmar dath – @fundgruber on Tumblr
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@fundgruber / fundgruber.tumblr.com

Open Excess
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Die spezifische Zugangsweise der sinntatsachengemäßen Reflexion auf die Erinnerungs-, Bedeutungs- und Verweismaschinen der Künste ist überall da, wo eine relative soziale Autonomisierung der Kunstsphäre erreicht wurde, notwendig nicht nur historisch, sondern vor allem begrifflich, von den Ideen der aristotelischen Ästhetik über die erzbürgerliche Idee einer »Klassik« bis hin zu Warburgs »Pathosformel«, Benjamins »Aura« und Ideen wie »Avantgarde« oder »Modernismus«. Die Konturensupplementarität von Künstlerischem und Begrifflichem gilt auch und gerade da, wo Kunstwerke selbst nicht begrifflich, also nicht im modernen Sinne »Konzeptkunst« sind, weil das Vokabular, in dem die inferentiellen und kausalen Zusammenhänge der Zweckwelt für Menschen explizit gemacht werden, kein Dingvokabular sein kann, sondern nur ein logisches (warum die Logik das Vokabular ist, das Inferentielles explizit macht, lese man bei Brandom nach; die Brücke zum Kausalen ist einfach zu schlagen: Das Inferentielle ist das von Menschen gemachte Kausale, das nichtnatürlich Folgerichtige, die Probehandlungsentsprechung zur im Handlungsbereich obwaltenden Kausalität des Verursachens von Effekten); Kunsttatsachen haben inferentielle Status in der Art, in der Inferenzen bei Brandom auf normative Status angewiesen sind. Die Nähe der Philosophie zu den Künsten, die sich selbst im Alltagsgeschäft der Kunstkritik immer wieder bemerkbar macht, ist vor diesem Hintergrund kein Rätsel; die Begriffsmaschinen, welche die Philosophie herstellt, sind sozusagen die Greifarme für die vergleichende und unterscheidende Manipulation der Bedeutungsmaschinen der Künste, was, wir wiederholen, nicht heißt, daß alle Kunst selbst begrifflich ist – es verhält sich eher so wie bei der technischen Reflexion auf den Unterschied zwischen Fermionen und Bosonen in der Teilchenphysik: Fermionen sind (wie etwa das Elektron) Teilchen mit Masse, auf welche Kräfte wirken, Bosonen sind (wie etwa das Photon, das Lichtteilchen) masselose Teilchen, aber wenn wir Menschen Bosonen manipulieren wollen, etwa für Experimente, müssen wir, da wir selbst fermionisch, materiell, aus Masseteilchen zusammengesetzt sind, Maschinen bauen, die das auch sind, also Lichtquellen wie etwa Laser, Photoplatten und so weiter. Zur Untersuchung des Begrifflichen wie des Unbegrifflichen der Künste ist das Begriffliche Mittel der Wahl.

Dath/Kirchner. Der Implex. S. 756f.

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"Die Kälte in Schwarz und Gold des Bildes vom toten Marat hebt mehr Pathos auf als das wildeste Geschmier; und daher hat T.J. Clark den Tag, als dieses Bild im zweiten Revolutionsjahr der Öffentlichkeit enthüllt wurde, zum Geburtstag der Moderne in der Kunst erklärt, allerdings mit dem schönen dialektischen Stachel, der Erklärung hinzuzufügen, er habe dieses Datum nur gewählt, weil man dann wenigstens nicht übersehen könne, daß diese Zäsur eine ausgedachte, gesetzte, keine natürliche oder authentische sei (die Geste ist selbst modern, man stellt lästige und witzlose Ursprungsdiskussionen einfach ab, indem man sie durch Setzung entscheidet, indem man »den Mut« beweist, sich »seines eigenen Verstandes ohne Anleitung eines andern zu bedienen«). [...] Das welterschaffende Vermögen und Tun der Künste erhält mit der Haltung »Man kann die Dinge auch so sehen, wie sie wirklich sind« einen neuen Dreh, und damit ist der Tag nicht fern, an dem nicht nur ein Mordopfer wie ein Mordopfer aussieht, sondern ein Strich eben ein Strich, eine Farbe eben eine Farbe, ein Sound ein Sound ist. Insofern das »metaphysical value judgment« der Künste also auf einmal auch lauten kann: »Wir lehnen es ab, ›metaphysical value judgments‹ zu treffen«, neigen diejenigen, die sich ihnen am konsequentesten hingeben wollen, auch zur Abschaffung der Kunst mittels Kunst (ich tröste dich, indem ich dir sage, es gibt keinen Trost, es ist wirklich alles schlimm)."

Dath/Kircher. Der Implex. S. 792f.

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Kunst ist neben anderem, was sie, wie wir gesehen haben, ist und tut, auch eine Erkenntnisweise, freilich vermittelt durch ein »als ob«, das Gesamte ihrer uneigentlichen Erfahrungsformen: eine Erkenntnis der Welt, die ist, aber nicht der Welt, wie sie ist, wenn auch unter Verwendung von Dingen und Sachverhalten, die sind – Bedeutung generiert man nur aus etwas, das ist, sie ist selbst ein rein innerweltlicher Vorgang. [...]

Dietmar Dath, Barbara Kirchner, Der Implex. S. 774f.

"Aus dem Wissen, daß man das Kommunizieren als Mensch nicht lassen kann, könnten die Künste ab dem Moment, da Kunstschaffende nicht mehr automatisch privilegierte Besitzende nichtkünstlerischer (religiöser, politischer, wissenschaftlicher) Kenntnisse sein sollen, sondern nichts anderes mehr sind als eben Kunstschaffende, eine neue Funktion gewinnen, die der Technik des Explizitmachens von Normativitäten übers plan Moralische hinaus, von Evaluativen und Direktiven, die sinnlich wirken, ohne anders als welt- und geschichtsimmanent gerechtfertigt sein zu wollen. Die Künste können sagen, was alle anderen menschlichen Tätigkeiten wissen, aber nicht sagen können: Nicht zu kommunizieren ist den Menschen nicht nur unmöglich, es wäre, wenn es denn doch möglich wäre, das unter Menschen schlechthin Falsche – mehr noch: das Böse." S. 794f.

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Dietmar Dath zur Automatisierung des Topos-Codings

Es ergab sich kürzlich die Gelegenheit, den Autor auf die mathematischen Skills seiner Heldinnen anzusprechen und ob es Sinn macht sich das Topos-Coding als digitale Methode zu übersetzen (siehe die Notiz zu dieser Idee).

Frage: Euer Einstieg war ja "KI ist keine Kollegin" oder "keine gute Kollegin". Meine Frage wäre… Die kurze Fassung wäre, kann KI eine Genossin sein? Und die lange Fassung wäre, in vielen deiner Bücher haben die Heldinnen einen Skill - also diese Weltraumkommunistinnen - und zwar, die sind sehr gut mit Kategorien, Funktoren und so weiter, die haben so ein Graph-Denken. Und in deinen FAZ-Artikeln zur KI kommen auch immer mathematische Potenziale vor. Das wollte ich einfach mal zugespitzt fragen, was wäre denn, wenn wir diese Skills die deine Heldinnen immer haben der Maschine beibringen, wäre sie dann nicht eine ganz coole Genossin? Ist ein bisschen eine Nerdfrage, aber mich hat es einfach mal interessiert.

Dath: Die KI kann tatsächlich… Die KI...! Ein System das mit mir Sprachspiele spielen kann, die vielleicht sogar auf eine Arten einen Inhalt haben, den wir noch gar nicht kennen, also weil… Ein naiver Einwand gegen die Chatbots ist ja das hat ja gar keinen Inhalt, also das ist ja gar nicht wirklich Sprache das simuliert nur Sprache - der schlagende Einwand gegen diesen Einwand ist, wenn ich im Taschenrechner 2 + 2 eingebe und da kommt vier, das ist nicht gerechnet das nur simuliert, ist doch scheißegal es ist vier. Das heißt wir dürfen nicht die Angst dass die Menschen ersetzen und erpressen wollen, vor allem erpressen wollen, ich glaube das Bedürfnis zu ersetzen ist gar nicht so groß das Bedürfnis zu unterdrücken zu auszubeuten zu erpressen und zu drohen wir könnten dich ersetzen. Die wissen schon relativ genau dass der Ramsch sie ganz alt aussehen lassen würde wenn sie uns morgen damit ersetzen. Aber sie drohen jetzt schon, damit wir durch unsere Duckmäuserei das finanzieren, dass die Dinger auch noch besser werden.

Aber ich wollte ja was Schönes sagen.... Eine Stadt kann eine Genossin sein, eine Katze kann eine Genossin sein, ein Foto kann... Also der Punkt ist, ich habe gar nichts dagegen zu anthropomorphisieren und zu sagen, dieses Buch ist mein bester Freund. Also wir sollten uns nicht von denen einreden lassen dass das unique ist, dass jemand sagt er ist mit diesem Bot zusammen weil er bestimmte mathematische oder sonstige Wunderdinge produzieren kann, das kannst du auch in ein Buch finden oder so. Die Frage ist, wer reguliert den Zugang dazu. So, und tut mir leid dass ich sozusagen das so kaputt mache, aber der Punkt ist ja, diese Maschinen in meinen Büchern die dann irgendwie Freunde sind, sind es ja deswegen, weil sie, sozusagen, wenn wir die Metapher des Trainings mal ernst nehmen, weil sie trainiert worden sind in einer Gesellschaft, wo die Menschen einander so behandeln, dass man sagt okay wenn die KI Systeme DAS gelernt haben dann habe ich auch kein …

Also die Frage... Dieser Turing Test, wenn es wirkt wie ein Mensch dann kann... das ist so schlau nicht wie man immer tut, weil sobald es das bestehen kann kann es auch so tun als könnte es nicht bestehen also das Ding ist im Grunde ein bisschen wertlos auf der logischen Ebene wenn es das kann kann es lügen und dann brauche ich nicht mehr testen. Ich finde ein interessanteren Test, was ich vorschlagen würde was man Maschinen fragen kann die vielleicht mit - der der Verstorbene Wojewodski der in den Büchern häufiger vorkommt hat sich so eine Frage gestellt, ob wir eine mathematische Sprache erfinden können die genauso für uns wie für Maschinen geeignet ist und noch die Physik ändert und so. Maschinen die solche tollen Sachen können könnte man was anderes fragen außer bist du ein Mensch, nämlich man könnte sie fragen, da wird es spannend, was willst du? Denn dann würde ich dafür plädieren, wenn das Ding eine Antwort gibt, der ich nicht traue, dann sollte ich das Ding genauso behandeln wie einen Menschen, dem ich auch nicht traue, wenn ich dem die Frage stelle und die Antwort kommt. Das heißt, ich habe keine humanistische Angst, ich habe ich habe einfach die alte Angst vor der Klassengesellschaft, sozusagen. Ich habe keine Angst, dass die den Menschen abschaffen, ich habe Angst dass sie aus dem was ein Mensch ist etwas machen das so grauenhaft ist, so…

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Wie Luhmann über die Abstraktion von biologischen Systemen auf Systeme überhaupt zu einem Rahmen gelangte, in dem sich soziale Systeme denken lassen, haben wir die von Barwise und Perry entwickelte tentative Ontologie, in der es Individuen, Relationen zwischen diesen, räumliche und zeitliche Koordinaten, Situationen (Weltausschnitte konkreter und abstrakter, empirischer und spekulativer Art, die von probehandelnden und handelnden Geschöpfen unterschieden und vielleicht sogar erst individuiert, konstruiert werden) sowie deren Typen und Parameter gibt, auf Kategorien wie Sein und Sollen abgezogen, sie damit probehandelnd vergleichbar und unterscheidbar gemacht und zu Begriffsmaschinen technisiert, die aber, wie jede Technik, jederzeit außer Dingen und Daten (oder wie Keith Devlin sagt: Infonen), den zwischen ihnen probehandelnd veränderbaren Inferenzen sowie den zwischen ihnen handelnd veränderbaren Kausalbeziehungen vor allem Zwecke braucht und diese daher anzieht und suggeriert wie die Resultate und Prozesse der Künste ihre Deutungen (die Menschen sind zu geizig mit ihrer Selbsteinschätzung: Wenn ihnen einmal etwas so Schönes einfällt wie die Kornkreise, müssen es immer gleich Außerirdische gewesen sein, statt daß man sich an der Kunst freut).

Barbara Kirchner, Dietmar Dath: Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee. Suhrkamp 2012

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Wenn Leute, die nicht von Rassismus und zerrütteten Innenstadtzuständen betroffen sind, die Musik anderer hören, die diese Übel kennen, dann kann ein Informationsaustausch stattfinden, der die Verhärtung der Fronten konterkariert. Weil populäre Kunstformen in approbierter Kulturberichterstattung beiderseits des Atlantiks aber meistens nur dann vorkommen, wenn sich daran ein besorgniserregender sozialer Befund („Oh, diese Halbstarken!“) festmachen lässt, leidet das öffentliche Gespräch über sie an soziologistischen Verkürzungen. Das einschlägige Gerede verwechselt die soziale Wirkung einer Kunstäußerung dann gern mit deren Wert, als wäre etwa Rap nur eine Sozialtatsache, keine ästhetische. Aber Wirkung und Wert sind zweierlei: Hiphop wirkt, weil er Identifikationsangebote macht, aber der Wert des einzelnen Werks entspringt nicht der gelebten Echtheit oder cleveren Konstruktion dieser Angebote, sondern dem ästhetischen Rang des Werkes, also etwa der Vielfalt möglicher Auslegungen oder der Intensität des Kunsterlebnisses. Nach diesen Kriterien, die man an Sonetten und Arthouse-Filmen so gut erproben kann wie an Mikrofonzungenartistik, ist Kendrick Lamar ein Künstler von höchstem Rang, die trübe Tasse Kollegah aber ein Poseur vom Gymnasium, der Fragen nach der sozialen Legitimität seiner drohbrünstigen Gettogestik und der künstlerischen Qualität seiner verhauenen Reime mit dem überzüchteten Bizeps wegdrücken muss. Im einen der beiden Fälle ist die Wirkung der Werke, von ihrem Wert ganz abgesehen, komplex; im anderen, um mich einmal so unfeuilletonistisch auszudrücken wie hier nötig, zum Kotzen.

Dietmar Dath - Debattle-Rap. FAZ 18.4.2018

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Tout va bien”  (1972) by Jean-Luc Godard & Jean-Pierre Gorin <Groupe Dziga Vertov>

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fundgruber

"Weil »der Marxismus« und seine verkommenen Zerfallsformen, von der Frankfurter Schule bis zur »Konsumkritik« (an der »Wegwerfgesellschaft« oder »Überflussgesellschaft«, oh Lord, dabei war und ist das Gute an Marx doch, dass er Produktionskritik treibt und ermöglicht statt Konsumkritik oder gar, wie bei den faschistischen antisemitischen Theorien übers Finanzkapital, die noch stupidere Zirkulationskritik), im linksliberalen Milieu zwischen Uni und Kunst und Medien und Kulturleben so absurd »hegemonial« (d. h.: zerquatscht) waren damals, gab’s viel Apostasie – man wandte sich, statt gleich einem ehrlichen Antikommunismus, erst mal untergegangenen oder übersehenen Seitenarmen der marxistischen und paramarxistischen Denkerei zu; einige entdeckten Gramsci (ein wichtiger Schritt in Richtung Cultural Studies …), andere Trotzki, wieder andere irgendwelche romantischen Linksradikalismen (von Pannekoek führt ein komischer Weg zum Operaismus) oder Walter Benjamin oder was auch immer. Alle wollten sie jedenfalls mehr ORIGINALITÄT, mehr FANTASIE, weniger Langeweile und Ödnis. Wie sah das aus? Das beste Momentbild, das ich kenne, bietet der Godardfilm Tout Va Bien von 1972. Achtundsechzig war vier Jahre her, alle im Film grübeln irgendwie bewusst oder unbewusst darüber, warum nicht mehr draus wurde, warum »alles so weitergeht«.

Drei Szenen: Ein Arbeiter, der in einer Fleischfabrik einen wilden Streik mit ausgelöst hat, beschwert sich darüber, dass die Gewerkschaft (also: die etablierte Organisation des Arbeitskampfes) ihm und seinesgleichen immer mit irgendwelchen Zahlen kommt und den Leuten damit ausreden will, einfach mal drauflos zu kämpfen (die Zahlen sind wohl betriebswirtschaftliche und makroökonomische, Bestandteile »marxistischer Wirklichkeitsübersetzung« eben, in Gestalt von Wirtschaftsanalyse). Der Arbeiter sagt: Mir reicht es mit den ökonomischen Schulungen, ich will dem Chef in den Arsch treten. Nächste wichtige Szene, eine Weile später (diese Szenen kommen immer als Kontextmomente zu der den Film gliedernden Liebes-Beziehungs-Stress-Geschichte zwischen einem französischen linken Intellektuellen und Filmemacher ohne Perspektive, Yves Montand, und einer amerikanischen linken Intellektuellen und Journalistin ohne Perspektive, Jane Fonda, denn das Private ist politisch bla bla bla): Kampf der Studierenden. Die legen sich mit den Bullen an, aber der Parteikommunist steht mit der Parteizeitung da und liest daraus vor, man solle nicht individualistische Knallaktionen veranstalten, denn das bringe nichts. Dritte wichtige Szene: In einem Riesensupermarkt stehen die Menschen wie Zombies an den Kassen und lassen sich abfertigen. Zum Angebot im Monsterladen gehört auch das kommunistische Programm, ein Parteikommunist liest daraus vor und will es verkaufen wie Seife oder Obst, aber ein paar wilde Studis stellen ihn zur Rede: Los, erklär mal, wie soll das die Welt verändern? Und er sagt nur: Kommen Sie ins Parteibüro. Na schön, der ist eben langweilig, also fangen die Studis an, zu randalieren, und klauen die Waren und stecken die Zombies mit ihrer Manie an, die jetzt also auch plündern, und alle prügeln sich schließlich mit den Bullen. Na ja. Das finde ICH langweilig, diesen Kindergartenaufstand.

Der öde Typ mit der Zeitung hat einfach RECHT, wenn er sagt, Steineschmeißen ohne Plan bringt nichts. Und der Arbeiter, der sich eingeseift fühlt von den Zahlen der Gewerkschaft, zieht den falschen Schluss, wenn er denkt: Scheiß doch auf die Zahlen. Denn der einzige Weg, das reformistische Jonglieren mit Zahlen zu beenden, ist der revolutionäre Gebrauch der Zahlen zur illusionslosen Beschreibung der Lage."

Dietmar Dath an Philip Teisohn, Frankfurt a. M., den 10. März 2020. in: Okkultes Denken. 2023

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Land glaubt, er bildet die Welt ab oder die Welt hinter der Welt, und hält seine Quellen (Kabbala oder, sehr schön rhapsodisch in Fanged Noumena: »Qwernomics«, also die Ressource des Tippens) für hinreichend dignified, das Wirkliche (GNON) darzustellen, und da irrt er sich, wie beschrieben, aber dafür bildet er DIE LAGE DER INTELLEKTUELLEN ab, die nicht einfach fressen wollen, was heute von der Weltsituation so angeboten wird, aber auch keine sozialistische oder sonstwie emanzipative Bewegung kennen (wollen), auf die sie setzen, zwar verschwommen, aber eben deshalb inspirierend und wirklichkeitsgetreu ab – sie IST ja verschwommen.

Dietmar Dath an Philip Teisohn, Frankfurt a. M., den 30. April 2020. in: Okkultes Denken. 2023

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Mathe automatisiert das Raten, das ist ihr Hauptgebrauchswert für die Science Fiction, von der ich hier implizit ständig rede: Man rät nicht mehr über Sachen, sondern über Beziehungen zwischen Zeichen, die für sehr viele sehr verschiedene Sachen stehen, sehr abstrakten Zeichen also, die eine große Zahl Variablen und Invarianten beschreiben.

Dietmar Dath an Philip Teisohn, Frankfurt a. M., den 30. April 2020. in: Okkultes Denken. 2023

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Dietmar Dath - Neptunation.

Die Oktopoden werden uns verbinden, wenn wir es nach oben schaffen

Die Mission ist die Verbindung

Connection, Funktoren zwischen Kategorien von Kategorien, zwischen höheren Topoi

Bei Dietmar Dath ist Mathematik zur sozialen Bewegung, zum Implex geworden, eine Diktatur der Programmierer*innen und der Wissenschaft, in der Topos-Coding der Skill ist mit dem Aufhebung funktioniert, mit dem der Formwechsel der Materie gesteuert wird und die gesellschaftliche Reproduktion. In der Gegenwart codiert er selber seine Science Fiction so, mit dem Aufhebungsfunktor. Da wird dann ein Weltraumsozialismus mit transhumanistischem Gesicht (Neukörper) entworfen, in dem eine neue Politik entsteht, neue Kriege, teilweise als Wiederholungen historischer Tragödien. Die Programmierer*innen und die Wissenschaftler*innen spielen darin so eine große Rolle, weil sie im direkten Kontakt sind mit dem Management und der Spekulation. Sie haben Zugriff auf hochwertige Produktionsmittel und Gelder. Und dann im passenden Moment weichen sie ab aus den Kreisläufen des Kapitals, wie in "Menschen wie Gras", wenn die Gentechnik verfrüht freigelassen wird. Daths Faszination für China würde demnach auch nicht bedeuten das was dort passiert zu idealisieren, sondern es ist einfach ein Staat in dem diese Entwicklungen ein Stück brisanter ablaufen, wo eine KP versucht das Ganze zu steuern.

Die Grundlagen für die Freiheit zum Implex hatte eine Partei im Untergrund gelegt, sie hießen die "Gruppe Pfadintegral" (Gippies), dann die "Internationale" (eigentlich die 'Partei', aber er entschied sich dann doch für die Internationale), in unserer Welt sind das Grillabende von Wissenschaftler*innen und Radikalen, wie Barbara Kirchner irgendwo sagt, oder auch Dath immer wieder anklingen lässt. Dath ist das Aushängeschild dieser imaginären Partei (manchmal sieht man sein Formel-Tattoo auf dem Unterarm) im Hier und Jetzt, in den Büchern ist es Cordula Späth oder andere Heldinnen aus Wissenschaft und Musik. Durch seine Doppelrolle beliebter Feuilletonist bei der FAZ und Genosse der DKP zu sein streut er seinen High-Tech Marxismus in beiden Bereichen, und in Zeitschriften wie der Konkret (gerade zum Beispiel ein Text über eine Museumsausstellung über den Faschismus des 21. Jahrhunderts, genannt der "Wechselbalg", in einer zukünftigen Gesellschaft) oder bei Linken.

Die Topos-Codierung kommt auch aus der Musik, kommt auch aus der bildenden Kunst, nur haben die Gesellschaften, die Dath beschreibt das in ihre Raumgestaltung, ihre Körpergestaltung, die Gestaltung ihrer Beziehungen gelegt. Genauso wie das Gärtnern (in den Rechnergärten) oder das Kochen (deswegen auch die Bedeutung der von Dath beworbenen Bücher der Mathematikerin und Musikerin Eugenia Cheng "How to Bake Pi", und "x + y. A Mathematician’s Manifesto for Rethinking Gender", die in diesem Sinne so viel mehr sind als Einführungen). Darin liegt die verführerische Methodik der Kategorientheorie und der Topologie, Erkenntnis und Transformation auf unterschiedlichen Ebenen durchführen zu können. Und das dann wiederum mit Aufhebung zu verkabeln, mit den Klassikern:

"In early 1985, while I was studying the foundations of homotopy theory, it occurred to me that the explicit use of a certain simple categorical structure might serve as a link between mathematics and philosophy. The dialectical philosophy, developed 150 years ago by Hegel, Schleiermacher, Grassmann, Marx, and others, may provide significant insights to guide the learning and development of mathematics, while categorical precision may dispel some of the mystery in that philosophy." F. William Lawvere, Unity and Identity of Opposites in Calculus and Physics. Applied Categorical Structures 4: 167-174, 1996

Hegelianisch-Marxistische abstrakte Algebra befindet sich dann mutmaßlich im Wettstreit mit anderen diagrammatischen Methoden, wie der Lattice Theorie (vgl. Rudolf Wille, “Restructuring lattice theory: An approach based on hierarchies of concepts” 1982). Wenn seit Emmy Noether die Kartierungen Teil der mathematischen Forschung sind (vgl. Lee, C. (2013) Emmy Noether, Maria Goeppert Mayer, and their Cyborgian Counter-parts: Triangulating Mathematical-Theoretical Physics, Feminist Science Studies, and Feminist Science Fiction), bis hin zu Maryam Mirzakhani (in der Nachruferzählung und in der Raumerzählung "Du bist mir gleich" wird das was diese Mathematik mit dem Denken macht in seiner Tragik und transformativen Kraft spürbar), dann ist das was die Netzwerk-Coder (z.B. Fan/Gao/Luo (2007) "Hierarchical classication for automatic image annotation", Eler/Nakazaki/Paulovich/Santos/Andery/Oliveira/Neto/Minghim (2009) "Visual analysis of image collections") und Google Arts & Culture in die digitale Kunstwissenschaft eingeführt haben, man kann es nicht anders sagen, das Gegenteil von all dem. Unhinterfragte Kategorien und unhinterfragte konzeptuelle Graphen (also sowohl Lattice Theorie, als auch Topologie ignorierend), werden ohne Binaritäten oder Äquivalente einfach als gerichtete Graphen, entweder strukturiert von den alten Ordnungen, oder, das soll dann das neue sein, als Mapping von visueller Ähnlichkeit gezeigt (vgl. die Umap Projekte von Google oder das was die Staatlichen Museen als Visualisierungs-Baustein in der neuen Version ihrer online Sammlung veröffentlicht haben). Wenn dann das Met Museum mit Microsoft und Wikimedia kooperiert, um die Kontexte durch ein Bündnis von menschlicher und künstlicher Intelligenz zu erweitern - nämlich Crowdsourcing im Tagging, und algorithmisches Automatisieren der Anwendung der Tags, dann fehlen einfach die radikalen Mathematiker*innen, die diese Technologien mit dem Implex der Museumskritik verbinden können, um ein Topos-Coding durchzuführen, das die Kraft hätte den Raum des Sammelns zu transformieren, so das nichts mehr das Gleiche bliebe. Während die heutigen Code-Künstler*innen großteils im Rausch der KI-Industrie baden, bleiben es einzelne, wie Nora Al-Badri ("any form of (techno)heritage is (data) fiction"), die zum Beispiel in Allianz mit einer marxistischen Kunsthistorikerin die Lektüre des Latent Space gegen das Sammeln wenden (Nora Al-Badri, Wendy M. K. Shaw: Babylonian Vision), und so Institutional Critique digitalisieren.

"Was Künstlerinnen und Künstler seit Erfindung der »Institutional ­Critique«, deren früher erster Blüte auch einige der besten Arbeiten von ­Broodthaers angehörten, an Interventionen in die besagten Räume getragen und dort gezündet haben, von neomarxistischer, feministischer, postkolonialer, medienkritischer, ­queerer Seite und aus unzähligen anderen Affekten und Gedanken, die sich eben nicht allesamt auf eine Adorno’sche »Allergie« wider das Gegebene reduzieren lassen, sondern oft auch aus einer ­Faszination durch dieses, einer Verstrickung in sein Wesen und Wirken geprägt war, liegt in Archiven bereit, die ausgedehnter und zugänglicher sind als je zuvor in der Bildgeschichte. Den Tauschwert dieser Spuren bestimmen allerorten die Lichtmächte. Ihr Gebrauchswert ist weithin unbestimmt. Man sollte anfangen, das zu ändern." Dietmar Dath Sturz durch das Prisma. In: Lichtmächte. Kino – Museum – Galerie – Öffentlichkeit, 2013. S. 45 – 70

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Lange bevor Maschinen Gelegenheit haben werden, menschliches Sprechen, Kritzeln und Tastaturtippen komplett zu überwachen, zu übertönen und zu überschreiben, locken wir einander bereits in Leerformeln, in Lall- und Laberfallen, und verstummen da faselnd, verraten und verkauft, verworren und verflacht.

Dietmar Dath

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"Wie wäre es, wenn man die unsentimentale Kosten-Nutzen-Rechnung, diese durch die Kalorienökonomie bedingte Weigerung, sich von jedem Scheiß gleich in die Flucht schlagen zu lassen, ganz bewußt erleben könnte? Also Instinkt, aber als Vektorenergebnis eines Denkprozesses; Instinkt zweiter Ordnung. Das ist der vorherrschende Charakterzug meiner Tiere mit Sprache und liegt ziemlich nah an dem, was sich Nietzsche unter seinem so unglücklich benannten »Übermenschen« vorgestellt hat. Soll heißen, mir ist der Fuchs als Bankier einfach lieber als Nietzsches »blonde Bestie« (und der Löwe als Stalin von Disney sowieso)." cyrusgolden.de

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[...] Analysen, die etwa da, wo sie Twitter begreifen wollen, nur aufs Medium starren und nicht kapieren, dass es eher um die scheußliche gesellschaftliche Dynamik „Dorfklatsch“ geht, werden das Terrorsystem „globales Dorf“ nicht verstehen.

Dietmar Dath, Wieso der „Joker“ zum Irren wird. FAZ 2.9.2019

Source: faz.net
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